Salzgitter ist eine der flächengrößten Großstädte Deutschlands. Und doch ist es schwer, einen großstädtischen Charakter auszumachen. Die etwa 103.000 Menschen leben verteilt in 31 Stadtteilen, die häufig Dörfern ähneln und auf insgesamt gut 220 Quadratkilometer verteilt sind. Als im Dritten Reich gebildete industrielle Retortenstadt verfügt Salzgitter über keine gewachsene Mitte. Neben Salzgitter-Lebenstedt, dem mit 41.549 Einwohnern größten Stadtteil, ist es Salzgitter-Bad, das mit 21.000 Seelen so etwas wie einen städtischen Charakter aufweist. Salzgitter-Bad ist Heimat des SV Union Salzgitter, eines Klubs, der bis in die 1980er Jahre zur Elite des Fußballs in Niedersachsen zählte, in seinen besten Tagen von der 2. Bundesliga träumte und heute ein trauriges Dasein in der Bezirksliga fristet. Der Klub entstand 1920 als FC Union und floss 1940 in das neugebildete Fußballflaggschiff BSG Bergbau der just gegründeten Großstadt Salzgitter ein. 1944 erreichte man die Aufstiegsrunde zur Gauliga, scheiterte dort jedoch. Nach dem Krieg präsentierten sich die nunmehr wieder als Union auflaufenden Blau-Weißen als klassischer Arbeiterverein, dessen „Kumpelgeist“ Legendenstatus erreichte. Unter der Wochen fuhren Spieler wie Fans in die „Funken-Kuhle“ oder den „Georg-Schacht“ ein, am Wochenende stritten sie für den SV Union um Punkte. Union Salzgitter, das war „Klein-Schalke“. Dass es zudem Erfolge zu feiern gab, verdankte man Präsident Richard Seidel und Trainer Ernst Krafczyk, der rund 20 Jahre lang die Übungsstunden am Schlingelahweg leitete. 1955 ins niedersächsische Amateuroberhaus eingezogen, errang die Union 1957 die Niedersachsenmeisterschaft und zog in die Aufstiegsrunde zur Oberliga Nord ein, wo man jedoch scheiterte. Anschließend stagnierte der Aufschwung ein wenig. Während an der Friedrich-Ebert-Straße ein modernes Stadion entstand, setzte der 1963 mit Einführung der Regionalliga in die Drittklassigkeit zurückfallende Klub (1965 fehlte in der Aufstiegsrunde zur Regionalliga nur ein Punkt!) verstärkt auf Nachwuchsarbeit. Die Union-Eigengewächse Wolfgang Matz und Werner Wischniowski feierten später in Braunschweig und Wolfsburg Erfolge. Der Höhepunkt der Entwicklung wurde 1966 erreicht, als Unions Nachwuchs mit einem 3:2 über den Hamburger SV Norddeutscher Meister wurde. Plötzlich standen dem Klub sämtliche Türen offen. Die Ligaelf, die im selben Jahr in die Fünftklassigkeit abgestiegen war, wurde drastisch verjüngt, und Krafczyk-Nachfolger Helmut Reipka läutete die erfolgreichsten Jahre der Vereinsgeschichte ein. 1969 kehrte die Elf um Erich Schneider, Winfried Wottka und Kassebaum ins niedersächsische Amateuroberhaus zurück und verpasste in der Aufstiegsrunde zur Regionalliga nur knapp den Durchmarsch. Auch 1971 und 1973 waren die Blau-Weißen im Ringen um einen Platz im Vertragsspielerlager dabei, scheiterten aber am PSV Bremen bzw. Concordia Hamburg. Mit Wolfgang Dremmler verließ 1973 ein späterer Bundesligaspieler den Verein in Richtung Eintracht Braunschweig. Dann kam der Bruch. Unions 1973 gewählter Präsident Karl Kusmierz träumte von der 2. Bundesliga, in die er seinen Klub führen wollte. Dazu verließ er 1975 die bewährten Union-Pfade und gab das Motto „Klotzen statt Kleckern“ aus. Als Trainer kam Imre Farkaszinski aus Wolfsburg, statt Jugendpflege gab es Handgelder, und für eigene Talente holte man abgetakelte Profis. Zunächst ging alles gut, und 1977 erreichte die Farkaszinkis Elf die Aufstiegsrunde zur 2. Bundesliga, in der man nach einem 1.0-Auftaktsieg über Siegburg 04 jedoch böse Schiffbruch erlitt. Anschließend ging es bergab. Während nach der Krise der Bergbaus auch die Krise der Stahlindustrie an den Nerven der Salzgitteraner zehrte, steuerte Union unaufhaltsam dem Abgrund entgegen. Präsident Kusmierz ging, Trainer Farkaszinski ging, die Mannschaft fiel auseinander und 1978 stand der mit 500.000 DM verschuldete Klub plötzlich vor dem Ruin. Der Verkauf des Friedrich-Ebert-Stadion bewahrte ihn vor der Auflösung, doch sportlich konnte man nicht mehr an alte Erfolge anknüpfen. 1980/81 wurde eine erneut vom eigenen Nachwuchs gebildete Mannschaft (Pospich, Fiebich, Thorke u.a.) zwar noch einmal Herbstmeister der Amateuroberliga Nord, doch schon 1984 verschwand Union in der Verbandsliga und stürzte 1986 in die Bezirksoberliga weiter. 2003 fand sich der Klub erstmals in der Kreisliga wieder. Nur dem noch immer legendären „Union-Geist“ war es zu verdanken, dass die Blau-Weißen überlebten und inzwischen auch wieder sorgenfreier leben können – wie eh und je dank der vorzüglich Nachwuchsarbeit, die man inzwischen gemeinsam mit dem Nachbarn SC Gitter betreibt.
Dieser Artikel stammt aus dem "großen Buch der Deutschen Fußballvereine"
(Agon Sportverlag, ISBN: 3-89784-3622, 528 Seiten, Hardcover, 39,90 €)
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen