Seit dem 1. Juli 1977 ist Bremerhavens einstiger Fußballstolz Geschichte. Seinerzeit übernahm der fünf Jahre zuvor gebildete Großverein OSC Bremerhaven die Tradition (und die Schulden…) der Weinroten, deren Aufschwung und Niedergang dem der Hafenstadt an der Wesermündung glich.
1893 als
Arbeiterturnverein gegründet, eröffnete Bremerhaven 93 kurz vor dem Ersten
Weltkrieg eine Fußballsektion, die nach dem Krieg ad hoc zur Vorzeigeabteilung
bei den Weinroten wurde. Allerdings im vom DFB unabhängigen Arbeitersport, wo
die Nordlichter rasch zu den stärksten Teams im gesamten Reichsgebiet
aufstiegen. 1921 und 1923 erreichten sie jeweils das Halbfinale der Endrunde um
die Deutsche Meisterschaft und verpassten nur knapp das Endspiel. 1926
eröffnete der engagierte Klub zudem im ehemaligen Zollinlandshafen eine neue Spielstätte,
die rasch den Kosename „Zolli“ erhielt und zum Zentrum des Bremerhavener
Spitzenfußballs wurde.
Die
proletarischen 93er hatten dort über Jahre friedlich Seite an Seite mit den im
DFB-Spielbetrieb integrierten Stadtrivalen Sparta und ATS Bremerhaven um Punkte
gerungen, als der Arbeitersport 1933 unter den Nationalsozialisten zerschlagen
wurde. Von dem Verbot war auch der ATV 93 betroffen. Doch weil Bremerhaven 93
eine hohe Bedeutung im Fußball der Hafenstadt genoss und zudem
schichtenübergreifend in der ganzen Stadt beliebt war, durfte der Klub als TuS
93 übergangslos im bürgerlichen Lager weiterkicken. 1942 erreichten die
Weinroten die Gauliga und waren damit erneut führendes Team vor Ort.
Nach dem
Zweiten Weltkrieg boomte die 1947 durch den Zusammenschluss von Wesermünde,
Lehe und Bremerhaven gebildete Stadt Bremerhaven, die zum größten deutschen
Passagierhafen Deutschlands aufstieg. Auch auf dem „Zolli“ war seinerzeit
ordentlich was los. Als den 93ern 1948 der Aufstieg in die Oberliga gelang, wurde
Bremerhaven über Nacht zur brodelnden Fußballhochburg. Ihren Zenit erreichten
die vom ehemaligen Nürnberger Robert „Zapf“ Gebhardt trainierten Weinroten um
Kapitän Kapteina 1954/55, als sie hinter dem ewigen Nordmeister Hamburger SV
Zweiter wurden und sich für die Endrunde um die Deutsche Meisterschaft
qualifizierten. Weil der altehrwürdige „Zolli“ zu klein für derlei Spektakel
war, musste 93 allerdings ins Bremer Weserstadion ausweichen, wo man Worms und
Offenbach besiegte, während es gegen den späteren Finalisten Rot-Weiss Essen
immerhin ein Unentschieden gab.
Der
Höhepunkt markierte zugleich den Beginn einer schleichenden und schier
unendlichen Talfahrt. Problem Nummer 1 war das beschauliche Zollinlandstadion,
das in Zeiten des anbrechenden Profitums zu wenige Einnahmemöglichkeit bot.
Damit verbunden Problem Nummer 2: Finanzsorgen. Die prägten fortan die
Geschicke eines Klubs, der unter dem wirtschaftlichen Niedergang der Stadt
Bremerhaven litt und immer wieder Leistungsträger verlor. 1959 verließ Erfolgstrainer
Gebhardt den Verein, aus dem spätere Bundesligaasse wie Uwe Klimaschefski,
Willi Reimann und Egon Coordes hervorgingen.
1963 mit
der Bundesligagründung in die Zweitklassigkeit abgerutscht, konnten die
Weinroten nur durch den regelmäßigen Verkauf von Leistungsträgern überleben.
Der Publikumszuspruch in der wirtschaftlich inzwischen danieder liegenden
Hafenstadt ging kontinuierlich zurück, so dass Schmalhans bald ungeliebter
Küchenmeister war. Zudem bereitete der entwürdigende Zustand des „Zolli“ Sorge.
Seitdem die Haupttribüne Anfang der 1970er Jahre einer
Straßenverbreitungsmaßnahme zum Opfer gefallen war, verfügte das Areal nur noch
über drei Seiten mit heruntergekommenen Stehtraversen und keinerlei überdachten
Sitzplätzen.
Bis zur
Auflösung der Regionalliga Nord 1974 hielt sich Bremerhaven 93 dennoch in der
zweithöchsten Spielklasse, ehe Platz 14 im Spieljahr 1973/74 nicht zur
Qualifikation für die neue 2. Bundesliga-Nord reichte und Bremerhaven 93
erstmals in die Drittklassigkeit musste. Zu jenem Zeitpunkt war das Aus des
Traditionsvereins bereits besiegelt. Ein hoher Schuldenberg und das moderne
Nordseestadion sorgten für die Bildung des Großvereins OSC Bremerhaven, der in
die Fußstapfen der 93er trat. Bis 1977 geschah dies aus formalen Gründen noch
unter dem Namen „93“, ehe der Traditionsklub mit dem Gewinn der
Nordmeisterschaft und dem Aufstieg in die 2. Bundesliga am 1. Juli 1977
endgültig Geschichte wurde.
Die
Erfolgsära des OSC währte nur kurz, und der anschließende Absturz des Klubs,
der emotional nie die Rolle der 93er einnehmen konnte, war brutal. 1985
verschwand der Klub auf Landesebene und kehrte nie zurück. Das Nordseestadion,
mit seinen weitläufigen Leichtathletikanlagen nie geliebt, verwaiste, und auf
dem „Zolli“ ließ sich der in FC Bremerhaven umbenannte VfB Lehe nieder, der
kürzlich nahezu unbemerkt von der Öffentlichkeit aus dem Vereinsregister
gestrichen wurde. Der Mythos von Bremerhaven 93 waberte bis heute durch
Hafenstadt. „93 war ein Markenzeichen, ein Begriff, den man nicht hätte
aufgeben sollen“, konstatierte Ex-Erfolgstrainer Helmut Johannsen schon 1980,
nachdem der OSC auch im zweiten Anlauf, sich in der 2. Bundesliga zu
etablieren, gescheitert war.
Dieser Artikel erschien im August 2012 im Rahmen meiner wöchentlichen Kolumne in "Nordsport"
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