Wie der Fußball nach Burkina Faso kam und sich dort entwickelte habe ich im zweiten Band der Weltfußball-Enzyklopädie Amerika, Afrika und Ozeanien geschrieben (erschien 2009 beim Verlag Die Werkstatt).
Hier ein Auszug aus dem Text:
Den 21. Februar 1998 wird man in Burkina Faso wohl nie vergessen. An diesem Tag stand die heimische Landesauswahl bei der Afrikameisterschaft im eigenen Land im Viertelfinale der übermächtigen Elf von Tunesien gegenüber – und rückte mit einem 8:7-Sieg im Elfmeterschießen sensationell ins Halbfinale vor! Der unerwartete Fußballerfolg stürzte das zu den ärmsten Ländern der Welt zählende Burkina Faso in eine nie erlebte Fußballeuphorie und bugsierte es schlagartig in die Fußballweltpresse. Doch schon vier Tage später brachte Ägypten das freudetrunkene Land mit einem 2:0-Halbfinalsieg wieder zum Schweigen, und als Burkina Faso in der Partie um Platz drei binnen 15 Minuten einen 3:0-Vorsprung verspielte, kehrte der beschauliche Fußballalltag vollends zurück.
Burkina Faso ist ein Land mit turbulenter Vergangenheit. In der Sahelzone zwischen der Elfenbeinküste, Mali, Niger, Benin, Togo und Ghana gelegen, zählte es einst zum Kerngebiet der Mossi-Königreiche, die dort im Spätmittelalter herrschten. 1890 fiel die Region an Frankreich, das sie in die Kolonie Obersenegal-Niger integrierte und 1904 seiner Westafrikanischen Föderation anschloss. 1919 wurde das Territorium als Obervolta eigene Kolonie, ehe es 1932 nach inneren Unruhen zerschlagen und auf die französischen Kolonien Elfenbeinküste, Mali sowie Niger verteilt wurde. 1947 unter französischer Flagge wieder zusammengefasst, mündeten Autonomieforderungen 1960 in der Unabhängigkeit.
Die Herausforderungen für den ersten Präsidenten Maurice Yaméogo waren enorm. Frankreich hatte keinerlei Strukturen hinterlassen, und durch die zeitweise Aufspaltung waren mit Ouagadougou und Bobo-Dioulasso zwei miteinander konkurrierende Zentren entstanden. Nachdem Yaméogo 1966 vom Militär gestürzt worden war, geriet Obervolta in einen von politischen Querelen und Dürrekatastrophen geprägten Stillstand, der das Land weit zurückwarf.
Im August 1983 putschte sich der junge Hauptmann Thomas Sankara an die Macht und nahm zum Zeichen des endgültigen Endes der Kolonialherrschaft die Umbe-nennung in Burkina Faso vor. Der Name setzt sich zusammen aus den Sprachen der beiden größten Bevölkerungsgruppen Mossi und Dioula und steht sinngemäß für »Land der Aufrechten«. Mit sozialistisch geprägten Reformen erwarb sich Sankara anschließend große Sympathien im Volk, wohingegen er beim Ex-Kolonialherren Frankreich Sorge über einen Linksruck in der Region auslöste. Sankaras zunehmend repressive Politik, ein verlustreicher Grenzkrieg mit Mali und ausbleibende wirtschaftliche Erfolge führten 1987 abermals zum Putsch, bei dem mit Blaise Campaoré ein ehemaliger Mitstreiter Sankaras die Führung übernahm. Mit eiserner Hand gelang es ihm anschließend, die gesellschaftliche und wirtschaftliche Stabilisierung des Landes zu erreichen.
Zu seinen Maßnahmen zählte die verstärkte Förderung des Sports im Land – nicht zuletzt des Fußballs, dem der leidenschaftliche Fußballanhänger Campaoré besonders nahesteht.
Obwohl Nachbar Ghana die Wiege des Fußballs in Westafrika ist, kam das Spiel verhältnismäßig spät ins heutige Burkina Faso. Erst in den 1930er Jahren führten französische Militärangehörige, Missionare, Beamte der Kolonialverwaltung sowie Kaufleute aus den Nachbarkolonien den Fußball in der Region ein. Zur nationalen Fußballkapitale wurde Bobo-Dioulasso, das seinerzeit ebenso wie die heutige Hauptstadt Ouagadougou zur französischen Kolonie Elfenbeinküste gehörte. 1935 entstand dort mit Togo-Daho der Vorgänger des heutigen Racing Club Bobo-Dioulasso.
In Ouagadougou sowie jenen Gebieten, die seinerzeit zu Niger bzw. Französisch-Soudan (heute Mali) gehörten, kam der Fußball erst in den 1940er Jahren auf. Nach der Wiederherstellung der Kolonie Obervolta (1947) wurden auch in Ouagadougou erste Vereine gegründet, deren Hintergründe kultureller, ethnischer oder religiöser Natur waren. Federführend waren französische Kolonialisten, Angehörige der elitären Oberschicht und Ausländer. So bildeten togolesische Immigranten den Klub Modèle Sport, während der christliche Geistliche Ambroise Ouédraogo mit »Charles Lwanga« den Vorgänger des heutigen Spitzenklubs ASFA Yennenga ins Leben rief. Nachdem der Franzose Lucien Sanga 1947 einen obervoltaischen Regionalverband konstituiert hatte, konnte zwei Jahre später eine überwiegend aus Spielern aus Bobo-Dioulasso bestehende Auswahl zu einem Turnier nach Abidjan (Elfenbeinküste) reisen.
In den 1950er Jahren öffnete sich der Fußball allmählich auch anderen Bevölkerungsschichten. Landesweit entstanden Vereine, während der in Bobo-Dioulasso residierende Regionalverband der Westafrikanischen Liga beitrat, die Mitglied des französischen Fußballverbandes FFF war und einen populären Pokalwettbewerb betrieb (siehe Seite xxx). Nachdem die Eröffnung kommunaler Stadien in Bobo-Dioulasso (1952) und Ouagadougou (1958) die Infrastruktur verbessert hatte, kam es zu einem verstärken Spielbetrieb und ersten Erfolgen. 1954 erreichte Racing Bobo-Dioulasso in der Westafrikameisterschaft erstmals das Viertelfinale, in dem man an Foyer du Soudan Bamako scheiterte.
Mit der Unabhängigkeit Obervoltas (1960) übernahm die Fédération Voltaïque de Football (FVF) die Oberaufsicht. Im April desselben Jahres schickte sie erstmals eine »les Étalons« (»die Hengste«, in Erinnerung an den Hengst der legendären Mossi-Prinzessin Yennenga) genannte Landesauswahl ins Rennen, die einen 5:4-Sieg über Gabun feierte. Die weitere Entwicklung wurde von politischen Turbulenzen überschattet, und erst 1964 konnte Obervolta der FIFA bzw. der CAF beitreten. 1968 beteiligten sich »les Étalons« erstmals an der Afrikameisterschaft, derweil bis zum WM-Debüt noch ein weiteres Jahrzehnt verging.
Das Niveau des obervoltaischen Fußballs war lange Zeit schwach. Erst als sich ab 1971 zunehmend nationale Unternehmen engagierten und ein Sportministerium eingerichtet werden konnte, wurden Fortschritte erzielt. 1978 führte der Deutsche Otto Pfister die Landesauswahl um Mamadou Koita (»le sorcier«, »der Zauberer«) und Pascal Ouedraogo (»docteur ballon«) erstmals zum Endturnier der Afrikameisterschaft, wobei man allerdings vom Ausschluss der Elfenbeinküste profitierte. Beim Endturnier in Ghana setzte es in drei Spielen ebenso viele Niederlagen.
Nach dem Sankara-Putsch kam es ab 1983 zur einer massiven Förderung des Sports, der nach den Vorstellungen der Militärs nicht nur der Volksgesundheit dienen, sondern vor allem dem nunmehrigen Burkina Faso im Ausland zu erhöhtem Ansehen verhelfen sollte. Erst der 1987 putschende ehemalige Sankara-Mitstreiter Blaise Compaoré konnte die sportlichen Erfolge jedoch ernten, als den »Étalons« 1996 erstmals aus sportlicher Kraft die Qualifikation zur Afrikameisterschaft gelang. In Südafrika blieb die von Idrissa Traoré trainierte Elf um Seydou Traoré und Aboubacary Abdoulaye aber erneut punktlos.
Entsprechend zurückhaltend ging die burkinabische Fußballgemeinde in das 1998 in Ouagadougou und Bobo-Dioulasso durchgeführte 21. Kontinentalturnier. Doch die »CAN 1998« sollte in jeglicher Hinsicht zu einem Meilenstein in der Geschichte des Fußballs in Burkina Faso werden. Noch heute schwärmen die Teilnehmer von der einzigartigen Atmosphäre in dem von Hitze und Kargheit geprägten Land, dem es trotz seiner schwachen Wirtschaft gelang, drei moderne Stadien zur Verfügung zu stellen und ein fröhliches Fußballfest zu inszinieren.
Die burkinabische Nationalelf trug mit unerwarteten sportlichen Erfolgen zur Jubelstimmung bei. Nach ihrer 0:1-Auftaktniederlage gegen Kamerun eilte die aus lauter zweitklassigen Profis und Amateuren bestehende Elf unter ihrem französischen Trainer Philippe Troussier mit hohem Kollektivgeist und schnellem Angriffsfußball von Erfolg zu Erfolg. Mit einem 2:1 über Algerien qualifizierte sie sich für das Viertelfinale, schaltete dort sensationell Tunesien aus und wurde erst im Halbfinale von den cleveren Ägyptern gestoppt. Damit war die Luft allerdings auch raus, denn im Spiel um Platz drei gab das Team um Kapitän Ibrahima Diarra gegen die DR Kongo eine 3:0-Führung aus der Hand und verlor im abschließenden Elfmeterschießen.
Ohnehin folgte dem Glanzpunkt in der burkinabischen Fußballgeschichte der brutale Absturz. Obwohl das Land auf Legionäre wie Moumouni Dagano (Guingamp, Sochaux), Kassoum »Zico« Ouédraogo (Espérance Tunis), Yssouf Koné (Rosenborg) und Jonathan Pitroipa (Freiburg) zurückgreifen konnte, kam es bei drei weiteren Afrikameisterschaften (2000-04) nicht mehr über die Vorrunde hinaus und hat das Kontinentalturnier seit 2006 sogar regelmäßig verpasst.
Die große Hoffnung ruht auf dem Nachwuchs. 1999 erreichte Burkinas U17 erstmals die Weltmeisterschaft und wurde 2001 nach einem 2:0 über Argentinien sogar WM-Dritter. Zwei Jahre später erreichte die U20 um Aristide Bancé und Wilfried Sanou bei der WM in den Vereinigten Arabischen Emiraten das Achtelfinale. Allerdings musste die 1998 eröffnete und erfolgreiche nationale Jugendakademie »Planète Champion International« inzwischen geschlossen werden, weil der Transfer von Spielern ins europäische Ausland nicht die erhofften finanziellen Erlöse gebracht hatte.
Auf nationaler Ebene dominieren seit Gründung der Landesmeisterschaft im Jahr 1961 die Teams aus Ouagadougou und Bobo-Dioulasso. Nachdem viele Jahre in zwei Stadtligen mit abschließender Endrunde gespielt worden war, gelang es 1986, auch Städte wie Koudougou, Ouahigouya, Banfora und Tenkodogo in den Spielbetrieb zu integrieren und eine landesweite Nationalliga zu bilden. 2007 wurde beschlossen, die Zahl der Erstligisten aus Ouagadougou auf fünf und die der aus Bobo-Dioulasso auf drei zu beschränken, um die Dominanz der beiden Städte zu brechen.
Erster Landesmeister war 1961 die Association Sportive des Fonctionnaires de Bobo-Dioulasso geworden. In den 1970er Jahren hatte der als Stadtauswahl konzipierte Silures FC mit sieben Titeln in Folge dominiert und war 1978 sogar bis ins Viertelfinale um die afrikanische Landesmeisterschaft vorgedrungen. 1978 und 1980 erreichte der gleichfalls als Regionalauswahl fungierende RCK Ouagadougou jeweils das Halbfinale im kontinentalen Pokalwettbewerb.
Die einstige Dominanz von Bobo-Dioulasso ist inzwischen einer beherrschenden Position der hauptstädtischen Klubs Étoile Filante und ASFA Yennenga gewichen. Étoile Filante errang 2008 seinen zwölften Titel, während die ASFA Yennenga bislang acht Landesmeisterschaften feierte.
Insgesamt leidet Burkinas Nationalliga unter einem frappierenden Bedeutungsverlust, und nur wenige Spiele locken mehr als 1.000 Besucher an. Experten führen das auf einen eklatanten Qualitätsverfall zurück, da die Talente frühzeitig ins Ausland wechseln und den heimischen Klubs nur noch die weniger talentierten Akteure bleiben. Seitdem Tabakfirmen das Sportsponsoring untersagt ist, hat sich zudem die finanzielle Situation bei den meisten Klubs dramatisch zugespitzt. Gegenwärtig sind es vor allem libanesische Unternehmen, die sich im burkinabischen Fußball engagieren.
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