In Frankreich sind erneut Überlegungen laut geworden, die Zahl der Erstligisten von 20 auf 18 oder sogar 16 zu reduzieren. Nach Ansicht eines Sprechers der UCPF (Vereinigung der Profiklubs in Frankreich) sind die Belastungen durch die 20er Liga zu groß. Außerdem wird über eine Winterpause nachgedacht.
Im Umfeld dieser Forderungen gibt es aber noch weiterreichende Vorschläge, die den Profifußball in Frankreich nachhaltig verändern könnten. So hat der Präsident des AS Nancy vorgeschlagen, künftig höchstens zwei Absteiger aus der 1. Liga vorzusehen - wobei einer der beiden Klubs über Relegaionsspiele gegen den Zweiten der 2. Liga noch eine Zusatzchance auf den Klassenerhalt erhalten soll. Begründung: die finanziellen Folgen eines Abstiegs aus der 1. Liga seien zu groß und in der 2. Liga nicht aufzufangen. Wünschenswert sei es, Absteigern für mindestens zwei Jahre dieselben Fernsehgelder wie in der 1. Liga zu garantieren.
Kommt es zur Umsetzung dieser Idee, dürfte sich die Kluft zwischen Erst- und Zweitligisten in Frankreich deutlich verbeitern - mit der Gefahr einer "geschlossenen Gesellschaft" 1. Liga.
Freitag, 23. März 2012
Dienstag, 20. März 2012
Kultklubs: Cracovia Kraków
Aus der Fuwo-Serie "Kleine Kultklubs in Europa" heute "Cracovia Kraków
An der Gewaltfrage kommt man im polnischen Fußball nur selten vorbei. Zu viele Schlagzeilen haben marodierende Hooliganbanden seit den 1990er Jahren geschrieben. Das gefürchtetste Derby des Landes findet in Krakau statt. Wisla, sportlich und auch in Fankreisen Nummer 1, gegen Cracovia, Polen wohl legendärsten Traditionsverein, der nach Jahrzehnte in der Vergessenheit eine weithin begrüßte Wiedergeburt feierte. Doch wann immer die beiden Teams, deren Stadien nur ein paar hundert Meter auseinander liegen, aufeinander treffen, gibt es Ausschreitungen mit Verletzen und gar Toten. Selbst Polens Hooliganzirkel sprechen respektvoll von „wohl einem der fiesesten Derbys in Europa“.
Das hat Tradition, denn schon in der 1920er Jahren heizte Cracovia-Spieler Ludwig Gintel die Stimmung vor einem Stadtduell mächtig an. Mit seiner Aufforderung „Meine Herren, na los, gehen wir in diesen heiligen Krieg“, drückte er dem sportlichen Duell sogar einen immerwährenden schauerlichen Stempel auf. Bis heute bezeichnet Polen das Krakauer Derby als „święta wojna“ („Heiligen Krieg“).
Beide Vereine reichen zurück ins Jahr 1906. Wisla („Weichsel“) ist der Klub der einfachen Leute, Cracovia (lateinischer Name für Krakau) der Klub der Akademiker. Mit seinem Gründungsdatum 13. Juni 1906 ist letzterer ältester Fußballverein Polens. Während Wisla in der Zeit der polnischen Staatenlosigkeit nationalistisch agitierte und vor dem Ersten Weltkrieg aus Protest gegen den Einfluss Wiens aus dem Österreichischen Fußballverband austrat, passte sich die kosmopolitisch ausgerichtete Cracovia den herrschenden Verhältnissen an und konnte ungleich größere Erfolge feiern. 1913 errangen die Rot-Weißen sogar die Österreichische Meisterschaft für Polen - also Galiziens. Schon damals entwickelte sich eine Rivalität, die nicht zuletzt entlang der sozialen und politischen Trennlinien verlief.
Nach dem Ersten Weltkrieg war die Cracovia unter den Gründern des polnischen Nationalverbandes PZPN zu finden und segelte zunächst weiter auf Erfolgskurs. 1921 führte der ungarische Trainer Imre Poszonyi die Elf sogar zur ersten polnischen Landesmeisterschaft. Damals begründete sich auch der heutige Kultcharakter des Klubs. Landesweit wurde die Cracovia zum Liebling vor allem in gebildeteren Kreisen und stand synonym für die Multikulturalität und Multiethnizität Polens. Der sportliche Höhenflug erreichte in den 1930er Jahren seinen Höhepunkt. 1930, 1932 und 1937 errang die Cracovia drei weitere Meistertitel. Es waren die goldenen Jahre des Vereins, für die mit Józef Kałuża der spätere Namensgeber der zum Cracovia-Stadion führenden Straße steht. Kałuża bestritt 408 Spiele für Cracovia, in denen er sensationelle 465 Tore markierte. Nach Ende seiner sportlichen Laufbahn übernahm er 1932 die Trainingsleitung und führte nebenbei Polens Nationalmannschaft 1936 zu Platz vier bei den Olympischen Spielen in Berlin und 1938 zur WM in Frankreich.
Mit dem Zweiten Weltkrieg endeten sowohl Kałużas Karriere als auch Cracovias Erfolgsserie. Kałuża starb 1944, während der 1939 unterbrochene Spielbetrieb der polnischen Nationalliga erst 1946 fortgesetzt werden konnte. 1948 sicherten sich die Rot-Weißen mit einem 3:1 im Entscheidungsspiel gegen den punktgleichen Rivalen Wisla zum bis heute letzten Mal den Meistertitel. Während Wisla anschließend als der Polizei unterstellter Verein Karriere machte und zum Spitzenklub aufstieg, fristete die Cracovia unter der Obhut der ökonomisch nicht wettbewerbsfähigen Nahverkehrsbehörde ein Schattendasein und stieg 1958 erstmals aus der Eliteklasse ab. Anfangs immerhin noch als Fahrstuhlmannschaft auftretend, wurde die Cracovia ab 1970 binnen weniger Jahre in die Viertklassigkeit durchgereicht. Zu allem Übel brannte seinerzeit die hölzerne Tribüne im Cracovia-Stadion ab und verbildlichte damit den desolaten Zustand des Traditionsvereins.
Der Kultcharakter überlebte. 1975 zählte man im Cracovia-Stadion sogar sensationelle 20.000 Zuschauer beim Drittliga-Heimspiel gegen Lublin. Sportlich indes gab es zunächst Rückschläge. Erst 1978 kehrte Cracovia in die 2. Liga zurück, und 1982 war die rot-weiße Fangemeinde geradezu außer sich vor Freude, als nach 13 langen Jahren die Rückkehr ins Oberhaus gelang. Doch die Euphorie war nicht von Dauer. Zwar bejubelte der Kultklub überraschende Erfolge wie ein 3:1 gegen Legia Warschau und ein 1:0 gegen Meister Lech Posen, 1983 aber ging es zurück in die zweite Liga und damit erneut auf Talfahrt. Ihren 80. Geburtstag feierte die Cracovia 1986 bereits wieder in der dritten Liga und stand angesichts leerer Kassen und eines maroden Stadions vor einer ungewissen Zukunft.
Just zur politischen Wende sorgte die wiedererweckte Nachwuchsarbeit für eine erneute Renaissance. 1990 und 1991 wurde Cracovia jeweils polnischer Jugendmeister, und 1991 führten Talente wie Tomasz Rząsa und Lukasz Kubik den Klub zurück in Liga 2. Erneut wurden die Rot-Weißen zur Fahrstuhlmannschaft, feierte die schmaler gewordene Fangemeinde im September 1995 ein historisches 1:0 beim längst weit enteilten Stadtrivalen Wisła und stürzte zur Milleniumswende abermals in die Drittklassigkeit ab. Begleitet von einer längst als „problematisch“ eingeschätzten Fanszene. Wojtek, ein langjähriger Cracovia-Fan, erinnerte sich kürzlich im Gespräch mit dem österreichischen Magazin „ballesterer“: Wir waren zwar sportlich am Boden, aber nicht, was die Hooligans anbelangt. Wir zwei sind keine Hooligans, aber viele unserer Leute haben ihre Aggressionen wegen der tristen Lage unseres Vereins in sich hineingefressen und in der Stadt entsprechend rausgelassen. Cracovia wurde in den Neunzigern nicht mit sportlichen Erfolgen, sondern mit Hooligans in Verbindung gebracht. In Krakau sind leider auch erstmals in Polen Messer in den Fights aufgetaucht. Cracovia hatte daran großen Anteil. Wenn Eltern ihren Kindern erlaubten, auf den Platz zu gehen, dann zu Wisła. Ich musste meine Eltern anlügen und oft weglaufen, um Cracovia sehen zu können.“
2002 entdeckte mit Janusz Filipiak der vermögende Gründer des Softwarenriesen Comarch seine Liebe zu Cracovia und erweckte den Klub. Dank seiner Finanzkraft ging es anschließend steil bergauf. Spieler wie Piotr Giza, Arkadiusz Baran, Łukasz Skrzyński und Paweł Nowak schossen die von Wojciech Stawowy trainierte Elf 2003 zurück in die 2. Liga und feierten 2003/04 den Durchmarsch in die Ektraklasa. Plötzlich war der Kult um Cracovia wieder lebendig. Cracovia-Fan Wojtek: „Es ist eine Euphorie ausgebrochen. In der dritten Liga kamen 2002 zu einem Heimspiel gegen Korona Kielce plötzlich 12.000 Zuseher. Es gibt in Polen die Legende von in den Bergen schlafenden Rittern, die aufwachen werden, wenn Polen sie braucht. Bei Cracovia war es ähnlich. Als wir 2003 in die erste Liga aufgestiegen sind ist es zur vollkommenen Eruption gekommen. In den besten Zeiten hatten wir regelmäßig um die 3.000 Leute im Fansektor und einen Zuschauerschnitt von 8.000. Das waren aber nur zu dreißig Prozent Leute, die sich plötzlich für Cracovia zu interessieren begannen. Der Rest waren diese schlafenden Ritter. Das Blatt hat sich gewendet. Wisła-Fans hatten es damals wirklich schwer in der Stadt.“
Und die Himmelsstürmer waren noch längst nicht am Ende ihrer Traumreise angekommen. Schon im Aufstiegsjahr verpasste Cracovia als Fünfter nur knapp einen UEFA-Cup-Platz und rückte 2007 unter Trainer Stefan Majewski auf Position vier in der Abschlusstabelle sowie bis ins Pokalfinale vor. Seitdem prägt allerdings Abstiegskampf das Schicksal des Klubs. 2009 reichte Platz 15 sogar nur zum Ligaerhalt, weil den beiden Lódzer Vereine LKS und Widzew die Lizenzen entzogen wurden. Für große Freude sorgte derweil das 1:1 im „heiligen Krieg“ gegen Wisla am vorletzten Spieltag der Saison 2009/10, mit dem der erneute Titelgewinn des verhassten Nachbarn verhindert wurde.
Cracovias Zuschauerstruktur ist außergewöhnlich. Neben der intellektuellen Elite erreicht der Klub vor allem Menschen von den gesellschaftlichen Rändern. „Die Cracovia zieht Leute an, die in einem bestimmten Lebensabschnitt Erfolge haben können, aber schnell große Tiefschläge erleiden“, erläutert Wojtejk gegenüber „ballesterer“: „Wenn jemand zur Cracovia kommt, dann muss er schon ein wenig gestört sein.“
Gründungsdatum: 13. Juni 1906. Vereinsfarben: Rot-Weiß. Stadion: Stadion Cracovii im. Józefa Piłsudskiego. Internet: www.cracovia.pl
Fans: Die Fanszene besteht aus der Ultragruppe “Ultras Opravcy” und der Hooligangruppierung “Jude Gang”. Deren Bezeichnung leitet sich von dem hämischen „Juden“ ab, mit dem Wislar-Fans Cracovia-Anhänger zu verunglimpfen versuchen. Unter den Gründern der Cracovia waren einige Juden zu finden. Bekanntester Anhänger des Klubs war der 2005 verstorbene Papst Johannes Paul II. Karel Wojtyla trug in seiner Jugend selber das rot-weiße Cracovia-Shirt.
Erfolge: Polnischer Meister 1921, 1930, 1932, 1937, 1948. Meister von Galizien: 1913
An der Gewaltfrage kommt man im polnischen Fußball nur selten vorbei. Zu viele Schlagzeilen haben marodierende Hooliganbanden seit den 1990er Jahren geschrieben. Das gefürchtetste Derby des Landes findet in Krakau statt. Wisla, sportlich und auch in Fankreisen Nummer 1, gegen Cracovia, Polen wohl legendärsten Traditionsverein, der nach Jahrzehnte in der Vergessenheit eine weithin begrüßte Wiedergeburt feierte. Doch wann immer die beiden Teams, deren Stadien nur ein paar hundert Meter auseinander liegen, aufeinander treffen, gibt es Ausschreitungen mit Verletzen und gar Toten. Selbst Polens Hooliganzirkel sprechen respektvoll von „wohl einem der fiesesten Derbys in Europa“.
Das hat Tradition, denn schon in der 1920er Jahren heizte Cracovia-Spieler Ludwig Gintel die Stimmung vor einem Stadtduell mächtig an. Mit seiner Aufforderung „Meine Herren, na los, gehen wir in diesen heiligen Krieg“, drückte er dem sportlichen Duell sogar einen immerwährenden schauerlichen Stempel auf. Bis heute bezeichnet Polen das Krakauer Derby als „święta wojna“ („Heiligen Krieg“).
Beide Vereine reichen zurück ins Jahr 1906. Wisla („Weichsel“) ist der Klub der einfachen Leute, Cracovia (lateinischer Name für Krakau) der Klub der Akademiker. Mit seinem Gründungsdatum 13. Juni 1906 ist letzterer ältester Fußballverein Polens. Während Wisla in der Zeit der polnischen Staatenlosigkeit nationalistisch agitierte und vor dem Ersten Weltkrieg aus Protest gegen den Einfluss Wiens aus dem Österreichischen Fußballverband austrat, passte sich die kosmopolitisch ausgerichtete Cracovia den herrschenden Verhältnissen an und konnte ungleich größere Erfolge feiern. 1913 errangen die Rot-Weißen sogar die Österreichische Meisterschaft für Polen - also Galiziens. Schon damals entwickelte sich eine Rivalität, die nicht zuletzt entlang der sozialen und politischen Trennlinien verlief.
Nach dem Ersten Weltkrieg war die Cracovia unter den Gründern des polnischen Nationalverbandes PZPN zu finden und segelte zunächst weiter auf Erfolgskurs. 1921 führte der ungarische Trainer Imre Poszonyi die Elf sogar zur ersten polnischen Landesmeisterschaft. Damals begründete sich auch der heutige Kultcharakter des Klubs. Landesweit wurde die Cracovia zum Liebling vor allem in gebildeteren Kreisen und stand synonym für die Multikulturalität und Multiethnizität Polens. Der sportliche Höhenflug erreichte in den 1930er Jahren seinen Höhepunkt. 1930, 1932 und 1937 errang die Cracovia drei weitere Meistertitel. Es waren die goldenen Jahre des Vereins, für die mit Józef Kałuża der spätere Namensgeber der zum Cracovia-Stadion führenden Straße steht. Kałuża bestritt 408 Spiele für Cracovia, in denen er sensationelle 465 Tore markierte. Nach Ende seiner sportlichen Laufbahn übernahm er 1932 die Trainingsleitung und führte nebenbei Polens Nationalmannschaft 1936 zu Platz vier bei den Olympischen Spielen in Berlin und 1938 zur WM in Frankreich.
Mit dem Zweiten Weltkrieg endeten sowohl Kałużas Karriere als auch Cracovias Erfolgsserie. Kałuża starb 1944, während der 1939 unterbrochene Spielbetrieb der polnischen Nationalliga erst 1946 fortgesetzt werden konnte. 1948 sicherten sich die Rot-Weißen mit einem 3:1 im Entscheidungsspiel gegen den punktgleichen Rivalen Wisla zum bis heute letzten Mal den Meistertitel. Während Wisla anschließend als der Polizei unterstellter Verein Karriere machte und zum Spitzenklub aufstieg, fristete die Cracovia unter der Obhut der ökonomisch nicht wettbewerbsfähigen Nahverkehrsbehörde ein Schattendasein und stieg 1958 erstmals aus der Eliteklasse ab. Anfangs immerhin noch als Fahrstuhlmannschaft auftretend, wurde die Cracovia ab 1970 binnen weniger Jahre in die Viertklassigkeit durchgereicht. Zu allem Übel brannte seinerzeit die hölzerne Tribüne im Cracovia-Stadion ab und verbildlichte damit den desolaten Zustand des Traditionsvereins.
Der Kultcharakter überlebte. 1975 zählte man im Cracovia-Stadion sogar sensationelle 20.000 Zuschauer beim Drittliga-Heimspiel gegen Lublin. Sportlich indes gab es zunächst Rückschläge. Erst 1978 kehrte Cracovia in die 2. Liga zurück, und 1982 war die rot-weiße Fangemeinde geradezu außer sich vor Freude, als nach 13 langen Jahren die Rückkehr ins Oberhaus gelang. Doch die Euphorie war nicht von Dauer. Zwar bejubelte der Kultklub überraschende Erfolge wie ein 3:1 gegen Legia Warschau und ein 1:0 gegen Meister Lech Posen, 1983 aber ging es zurück in die zweite Liga und damit erneut auf Talfahrt. Ihren 80. Geburtstag feierte die Cracovia 1986 bereits wieder in der dritten Liga und stand angesichts leerer Kassen und eines maroden Stadions vor einer ungewissen Zukunft.
Just zur politischen Wende sorgte die wiedererweckte Nachwuchsarbeit für eine erneute Renaissance. 1990 und 1991 wurde Cracovia jeweils polnischer Jugendmeister, und 1991 führten Talente wie Tomasz Rząsa und Lukasz Kubik den Klub zurück in Liga 2. Erneut wurden die Rot-Weißen zur Fahrstuhlmannschaft, feierte die schmaler gewordene Fangemeinde im September 1995 ein historisches 1:0 beim längst weit enteilten Stadtrivalen Wisła und stürzte zur Milleniumswende abermals in die Drittklassigkeit ab. Begleitet von einer längst als „problematisch“ eingeschätzten Fanszene. Wojtek, ein langjähriger Cracovia-Fan, erinnerte sich kürzlich im Gespräch mit dem österreichischen Magazin „ballesterer“: Wir waren zwar sportlich am Boden, aber nicht, was die Hooligans anbelangt. Wir zwei sind keine Hooligans, aber viele unserer Leute haben ihre Aggressionen wegen der tristen Lage unseres Vereins in sich hineingefressen und in der Stadt entsprechend rausgelassen. Cracovia wurde in den Neunzigern nicht mit sportlichen Erfolgen, sondern mit Hooligans in Verbindung gebracht. In Krakau sind leider auch erstmals in Polen Messer in den Fights aufgetaucht. Cracovia hatte daran großen Anteil. Wenn Eltern ihren Kindern erlaubten, auf den Platz zu gehen, dann zu Wisła. Ich musste meine Eltern anlügen und oft weglaufen, um Cracovia sehen zu können.“
2002 entdeckte mit Janusz Filipiak der vermögende Gründer des Softwarenriesen Comarch seine Liebe zu Cracovia und erweckte den Klub. Dank seiner Finanzkraft ging es anschließend steil bergauf. Spieler wie Piotr Giza, Arkadiusz Baran, Łukasz Skrzyński und Paweł Nowak schossen die von Wojciech Stawowy trainierte Elf 2003 zurück in die 2. Liga und feierten 2003/04 den Durchmarsch in die Ektraklasa. Plötzlich war der Kult um Cracovia wieder lebendig. Cracovia-Fan Wojtek: „Es ist eine Euphorie ausgebrochen. In der dritten Liga kamen 2002 zu einem Heimspiel gegen Korona Kielce plötzlich 12.000 Zuseher. Es gibt in Polen die Legende von in den Bergen schlafenden Rittern, die aufwachen werden, wenn Polen sie braucht. Bei Cracovia war es ähnlich. Als wir 2003 in die erste Liga aufgestiegen sind ist es zur vollkommenen Eruption gekommen. In den besten Zeiten hatten wir regelmäßig um die 3.000 Leute im Fansektor und einen Zuschauerschnitt von 8.000. Das waren aber nur zu dreißig Prozent Leute, die sich plötzlich für Cracovia zu interessieren begannen. Der Rest waren diese schlafenden Ritter. Das Blatt hat sich gewendet. Wisła-Fans hatten es damals wirklich schwer in der Stadt.“
Und die Himmelsstürmer waren noch längst nicht am Ende ihrer Traumreise angekommen. Schon im Aufstiegsjahr verpasste Cracovia als Fünfter nur knapp einen UEFA-Cup-Platz und rückte 2007 unter Trainer Stefan Majewski auf Position vier in der Abschlusstabelle sowie bis ins Pokalfinale vor. Seitdem prägt allerdings Abstiegskampf das Schicksal des Klubs. 2009 reichte Platz 15 sogar nur zum Ligaerhalt, weil den beiden Lódzer Vereine LKS und Widzew die Lizenzen entzogen wurden. Für große Freude sorgte derweil das 1:1 im „heiligen Krieg“ gegen Wisla am vorletzten Spieltag der Saison 2009/10, mit dem der erneute Titelgewinn des verhassten Nachbarn verhindert wurde.
Cracovias Zuschauerstruktur ist außergewöhnlich. Neben der intellektuellen Elite erreicht der Klub vor allem Menschen von den gesellschaftlichen Rändern. „Die Cracovia zieht Leute an, die in einem bestimmten Lebensabschnitt Erfolge haben können, aber schnell große Tiefschläge erleiden“, erläutert Wojtejk gegenüber „ballesterer“: „Wenn jemand zur Cracovia kommt, dann muss er schon ein wenig gestört sein.“
Gründungsdatum: 13. Juni 1906. Vereinsfarben: Rot-Weiß. Stadion: Stadion Cracovii im. Józefa Piłsudskiego. Internet: www.cracovia.pl
Fans: Die Fanszene besteht aus der Ultragruppe “Ultras Opravcy” und der Hooligangruppierung “Jude Gang”. Deren Bezeichnung leitet sich von dem hämischen „Juden“ ab, mit dem Wislar-Fans Cracovia-Anhänger zu verunglimpfen versuchen. Unter den Gründern der Cracovia waren einige Juden zu finden. Bekanntester Anhänger des Klubs war der 2005 verstorbene Papst Johannes Paul II. Karel Wojtyla trug in seiner Jugend selber das rot-weiße Cracovia-Shirt.
Erfolge: Polnischer Meister 1921, 1930, 1932, 1937, 1948. Meister von Galizien: 1913
Mittwoch, 14. März 2012
Traditionsvereine in Europa: Stade Reims
In Frankreichs zweiter Liga steht ein Verein mit großer Tradition vor seinem Comeback und möglichem Aufstieg in die 1. Liga: Stade Reims. Der Klub hat eine turbulente jüngere Vergangenheit hinter sich. Hier ein Porträt, das ich vor zwei Jahren für die "Fuwo" verfasste.
Tiefer abgestürzt ist keiner der ehemaligen Spitzenklubs in Europa: Stade Reims, 1956 und 1959 jeweils im Endspiel um den Europapokal der Landesmeister (heute Champions League) gegen das königliche Real Madrid unterlegen, musste in den 1990er Jahren bisweilen in der sechsten Liga auflaufen und hauchte gleich zweimal sein Leben aus.
Umso erfreulicher, dass den Rot-Weißen aus der Champagnerhochburg im Nordosten Frankreichs 2010 die Rückkehr in die 2. Liga gelang. Und Anlass für die inzwischen wieder üppige Fangemeinde des Traditionsklubs, optimistischer in die Zukunft zu schauen, zumal man mit seinem modernisierten Stade Auguste Delaune durchaus von höheren Zielen träumen darf.
Die erfolgreichste Epoche der “Rouge et Blanc“ (Rot-Weißen) trägt in Frankreich das Label „le grand Reims“ und spielte sich nach dem Zweiten Weltkrieg ab. 1931 aus einer seit 20 Jahren bestehenden Betriebsmannschaft der berühmte Sektkellerei Pommery & Greno gegründet, war der Klub schon vor dem Krieg systematisch in ein Spitzenteam verwandelt worden. Auf wen der Erfolg zurückging, war klar ersichtlich, denn das damalige Klubwappen krönte eine Sektflasche. Federführend waren mit Victor Canard und Henri Germain zwei Funktionäre mit Visionen und Beziehungen. Vor allem Germain kam eine Schlüsselrolle in der Erfolgsstory der Rêmois zu. Der ehemalige Rugbyspieler arbeitete für Champagnerhersteller Pommery & Greno, zog nebenbei im regionalen Fußballverband als Funktionär erfolgreich Strippen und schuf in Reims professionelle Verhältnisse.
Nach dem Krieg kam der Erfolgsexpress allmählich in Fahrt. 1949 holte die Elf um die Sinibaldi-Brüder Pierre und Paul sowie die Nationalspieler Jonquet und Marche erstmals die Landesmeisterschaft und ein Jahr später auch den Pokal nach Reims. Als Klubchef Germain 1951 den erst 31-jährigen Nationalstürmer Albert Batteux überredete, den Posten des scheidenden Trainers Henri Roessler zu übernehmen, nahm der Aufschwung an Tempo zu. „Monsieur Albert“, wie Batteux bald landesweit genannt wurde, kreierte einen attraktiven Offensivstil, der bis heute das Label „Champagner-Fußball“ trägt.
Zudem hatte Batteux einen vorzüglichen Riecher für Fußballtalente. 1951 lockte er den polnischstämmigen Raymond Kopa vom SCO Angers in die Champagne, mit dem Stade Reims 1953 erneut Meister wurde und zudem den seinerzeit populären Latin Cup gewann. Nachdem Reims 1955 abermals Landesmeister geworden war, übernahm Erfolgstrainer Batteux in Personalunion auch den Job des französischen Nationaltrainers, womit das Herz des französischen Fußballs vollends in der Kleinstadt im Herzen der Champagne schlug.
Mit dem im selben Jahr eingeführten Europapokal der Landesmeister hatte der Klub längst ein neues Ziel: Stade Reims wollte König von Europa werden. Und schon im ersten Jahr gelang den Rêmois über Aarhus, Vörös Lobogo Budapest und Hibernian Edinburgh der Einzug ins Finale, das nach neunzig packenden Minuten jedoch mit einem 4:3-Sieg für Real Madrid und dem anschließenden Wechsel von Superstar Kopa zu den Königlichen endete.
Kopas Verlust, eigentlich nicht zu verschmerzen, konnte Batteux sofort durch einen aus Nizza gekommenen Franzosen marokkanischer Herkunft ersetzen: Just Fontaine. Nachdem in den Folgejahren mit Jean Vincent, Roger Piantoni und Dominique Colonna drei weitere Ausnahmefußballer ins Stade Auguste Delaune gekommen waren, feierte man 1958 zum vierten Mal die Landesmeisterschaft und damit die Rückkehr in den Europapokal der Landesmeister.
Die Batteux-Elf um den hoch geschätzten Zentralverteidiger Robert Jonquet war nun auf dem Gipfel ihres Könnens angekommen. Als Frankreich im selben Sommer bei der WM in Schweden mit erfrischendem Offensivfußball Dritter wurde, standen gleich sechs Rêmois im Kader der Equipe Tricolore - darunter der mit 13 Treffern ewige WM-Torschützenkönig Just Fontaine. Insgesamt stellte Stade Reims seinerzeit in nur 19 Jahren 25 Nationalspieler mit 372 Länderspielen.
Über den nordirischen Ards FC, Finnlands Meister HPS Helsinki, Standard Lüttich aus Belgien sowie die Young Boys aus Bern drangen die Rot-Weißen 1958/59 abermals ins Finale des europäischen Landesmeisterwettbewerb vor. Doch vor 75.000 Zuschauern im Stuttgarter Neckarstadion hatten die Franzosen Pech. Erneut war Real Madrid der Gegner (diesmal mit dem Ex-Rêmois Kopa), und erneut hatten die seinerzeit fast unschlagbaren Königlichen die Nase vor.
Anschließend neigte sich die Ära von „le grand Reims“ allmählich ihrem Ende zu. Zunächst konnte der Klub 1959 mit finanzieller Unterstützung eines französischen Fruchtsafthersteller aber noch Raymond Kopa aus Madrid zurückholen, mit dem er 1960 und 1962 zwei weitere Male Landesmeister wurde. Zwischenzeitlich endete allerdings Just Fontaines Karriere 1961 durch einen komplizierten Beinbruch, ehe 1963 der Vertrag von Erfolgscoach Batteux nicht verlängert wurde. Ein fataler Fehler, denn während Batteux in Saint-Etienne eine neue Erfolgself aufbaute, stürzte Stade Reims unter seinem Nachfolger Camille Cottin völlig ab.
Nachdem sämtliche Leistungsträger den Verein verlassen hatten, landete der Klub 1964 sogar in der 2. Liga und wurde zur Fahrstuhlmannschaft. 1966 hörte mit Präsident Henri Germain auch der letzte Vertreter der Erfolgsära auf. Mitte der 1970er Jahre gab es noch einmal ein kurzes Aufbäumen. 1973/74 stellte Stade Reims mit dem Argentinier Carlos Bianchi den Torschützenkönig der Nationalliga (30 Treffer), 1975/76 beendete man die Saison auf einem fünften Platz und 1977 gelang der Einzug ins Pokalfinale, das jedoch mit 1:2 gegen AS St. Etienne verloren ging.
Inzwischen plagten den Klub schwere finanzielle Sorgen, die ihn 1978 zwangen, Insolvenz anzumelden. Die nicht erstligataugliche Notelf verabschiedete sich daraufhin 1979 mit nur drei Saisonsiegen zum letzten Mal aus der 1. Liga. Verlassen von Fans und Sponsoren, taumelte Stade Reims einer ungewissen Zukunft entgegen. 1986 und 1987 drangen die Rot-Weißen im Pokal jeweils bis ins Halbfinale vor, wobei am 2. Juni 1987 beim 1:5 gegen Olympique Marseille mit 27.774 Zuschauern sogar noch ein Vereinsrekord registriert wurde. Doch im Januar 1991 kam das Aus, wurde der mit über 50 Millionen Franc verschuldete Traditionsklub zunächst in die 3. Liga zwangsversetzt und im Oktober 1991 schließlich liquidiert.
Der Nachfolgeverein Stade de Reims Champagner FC hielt nicht einmal eine Saison durch, ehe auch er am 11. Mai 1992 Insolvenz anmeldete und Stade Reims endgültig Geschichte wurde. Durchschnittlich 982 Zuschauer hatten der letzten Saison des Klubs beigewohnt.
Im Juli desselben Jahres entstand mit Stade de Reims Champagne ein neuer Verein, der den Spielbetrieb in der sechsten Liga aufnahm. Nach drei Aufstiegen binnen fünf Jahren kehrten die Rêmois schließlich 1999 zur großen Freude der französischen Fußballöffentlichkeit in die 3. Liga zurück. Hinter dem Erfolg stand Brillengrossist Alain Afflelou, der zwischenzeitlich nicht nur sämtliche 1992 beim Vereins-Aus verkauften Pokale und Wimpel aus glorreichen Tagen zurückgekauft hatte, sondern den Klub finanziell auf solide Füße gestellt und ihm 1999 zudem den Traditionsnamen Stade de Reims zurückgegeben hatte.
Längst war Stade Reims zu einem landesweit beliebten Liebling aufgestiegen, und als den Rouge et Blanc 2002 der Aufstieg in die 2. Liga gelang, war die Freude in Frankreich groß. 2002/03 noch sportlich gescheitert, etablierten sich die Rêmois ab 2004 im zweiten Anlauf in der zweithöchsten Spielklasse. Parallel dazu wurde der Umbau des maroden Stade Auguste Delaune vorangetrieben, während 2007 im Ligapokal der Einzug ins Halbfinale gelang und in Reims zarte Erstligaträume erwachten.
Doch als der Stadionumbau 2009 abgeschlossen wurde, stand man in Reims abermals vor sportlichen Trümmern. Nach einer katastrophalen Hinrunde hatte der zur Winterpause verpflichtete Trainer Luis Fernandez mit seinem Team in der Rückrunde 2008/09 zwar aus 18 Spielen 27 Punkte geholt, die aber nicht mehr zum Klassenerhalt reichten. Inzwischen dürfen die seit ihrem sofortigen Wiederaufstieg vom früheren Guingamp- und Mönchengladbach-Verteidiger Hubert Fournier trainierten Rêmois erneut auf eine Etablierung im Profilager hoffen.
Klub, Fans und Region wäre es zu wünschen. Stade Reims ist ungeachtet seiner turbulenten jüngeren Vergangenheit ein stolzer Klub, dessen Aura greifbar ist und dessen Tradition ihn zu einem besonderen Verein macht. Zu einem Verein, dem auch die Erstklassigkeit gut zu Gesicht stehen würde. Zumal Reims dazu inzwischen zweifelsohne alle Voraussetzungen liefert: Das Stadion ist hübsch und wäre mit kleineren Ausbaumaßnahmen erstligatauglich, die Attraktivität des Klubs ist hoch und der Ruhm sowie Legende.
Tiefer abgestürzt ist keiner der ehemaligen Spitzenklubs in Europa: Stade Reims, 1956 und 1959 jeweils im Endspiel um den Europapokal der Landesmeister (heute Champions League) gegen das königliche Real Madrid unterlegen, musste in den 1990er Jahren bisweilen in der sechsten Liga auflaufen und hauchte gleich zweimal sein Leben aus.
Umso erfreulicher, dass den Rot-Weißen aus der Champagnerhochburg im Nordosten Frankreichs 2010 die Rückkehr in die 2. Liga gelang. Und Anlass für die inzwischen wieder üppige Fangemeinde des Traditionsklubs, optimistischer in die Zukunft zu schauen, zumal man mit seinem modernisierten Stade Auguste Delaune durchaus von höheren Zielen träumen darf.
Die erfolgreichste Epoche der “Rouge et Blanc“ (Rot-Weißen) trägt in Frankreich das Label „le grand Reims“ und spielte sich nach dem Zweiten Weltkrieg ab. 1931 aus einer seit 20 Jahren bestehenden Betriebsmannschaft der berühmte Sektkellerei Pommery & Greno gegründet, war der Klub schon vor dem Krieg systematisch in ein Spitzenteam verwandelt worden. Auf wen der Erfolg zurückging, war klar ersichtlich, denn das damalige Klubwappen krönte eine Sektflasche. Federführend waren mit Victor Canard und Henri Germain zwei Funktionäre mit Visionen und Beziehungen. Vor allem Germain kam eine Schlüsselrolle in der Erfolgsstory der Rêmois zu. Der ehemalige Rugbyspieler arbeitete für Champagnerhersteller Pommery & Greno, zog nebenbei im regionalen Fußballverband als Funktionär erfolgreich Strippen und schuf in Reims professionelle Verhältnisse.
Nach dem Krieg kam der Erfolgsexpress allmählich in Fahrt. 1949 holte die Elf um die Sinibaldi-Brüder Pierre und Paul sowie die Nationalspieler Jonquet und Marche erstmals die Landesmeisterschaft und ein Jahr später auch den Pokal nach Reims. Als Klubchef Germain 1951 den erst 31-jährigen Nationalstürmer Albert Batteux überredete, den Posten des scheidenden Trainers Henri Roessler zu übernehmen, nahm der Aufschwung an Tempo zu. „Monsieur Albert“, wie Batteux bald landesweit genannt wurde, kreierte einen attraktiven Offensivstil, der bis heute das Label „Champagner-Fußball“ trägt.
Zudem hatte Batteux einen vorzüglichen Riecher für Fußballtalente. 1951 lockte er den polnischstämmigen Raymond Kopa vom SCO Angers in die Champagne, mit dem Stade Reims 1953 erneut Meister wurde und zudem den seinerzeit populären Latin Cup gewann. Nachdem Reims 1955 abermals Landesmeister geworden war, übernahm Erfolgstrainer Batteux in Personalunion auch den Job des französischen Nationaltrainers, womit das Herz des französischen Fußballs vollends in der Kleinstadt im Herzen der Champagne schlug.
Mit dem im selben Jahr eingeführten Europapokal der Landesmeister hatte der Klub längst ein neues Ziel: Stade Reims wollte König von Europa werden. Und schon im ersten Jahr gelang den Rêmois über Aarhus, Vörös Lobogo Budapest und Hibernian Edinburgh der Einzug ins Finale, das nach neunzig packenden Minuten jedoch mit einem 4:3-Sieg für Real Madrid und dem anschließenden Wechsel von Superstar Kopa zu den Königlichen endete.
Kopas Verlust, eigentlich nicht zu verschmerzen, konnte Batteux sofort durch einen aus Nizza gekommenen Franzosen marokkanischer Herkunft ersetzen: Just Fontaine. Nachdem in den Folgejahren mit Jean Vincent, Roger Piantoni und Dominique Colonna drei weitere Ausnahmefußballer ins Stade Auguste Delaune gekommen waren, feierte man 1958 zum vierten Mal die Landesmeisterschaft und damit die Rückkehr in den Europapokal der Landesmeister.
Die Batteux-Elf um den hoch geschätzten Zentralverteidiger Robert Jonquet war nun auf dem Gipfel ihres Könnens angekommen. Als Frankreich im selben Sommer bei der WM in Schweden mit erfrischendem Offensivfußball Dritter wurde, standen gleich sechs Rêmois im Kader der Equipe Tricolore - darunter der mit 13 Treffern ewige WM-Torschützenkönig Just Fontaine. Insgesamt stellte Stade Reims seinerzeit in nur 19 Jahren 25 Nationalspieler mit 372 Länderspielen.
Über den nordirischen Ards FC, Finnlands Meister HPS Helsinki, Standard Lüttich aus Belgien sowie die Young Boys aus Bern drangen die Rot-Weißen 1958/59 abermals ins Finale des europäischen Landesmeisterwettbewerb vor. Doch vor 75.000 Zuschauern im Stuttgarter Neckarstadion hatten die Franzosen Pech. Erneut war Real Madrid der Gegner (diesmal mit dem Ex-Rêmois Kopa), und erneut hatten die seinerzeit fast unschlagbaren Königlichen die Nase vor.
Anschließend neigte sich die Ära von „le grand Reims“ allmählich ihrem Ende zu. Zunächst konnte der Klub 1959 mit finanzieller Unterstützung eines französischen Fruchtsafthersteller aber noch Raymond Kopa aus Madrid zurückholen, mit dem er 1960 und 1962 zwei weitere Male Landesmeister wurde. Zwischenzeitlich endete allerdings Just Fontaines Karriere 1961 durch einen komplizierten Beinbruch, ehe 1963 der Vertrag von Erfolgscoach Batteux nicht verlängert wurde. Ein fataler Fehler, denn während Batteux in Saint-Etienne eine neue Erfolgself aufbaute, stürzte Stade Reims unter seinem Nachfolger Camille Cottin völlig ab.
Nachdem sämtliche Leistungsträger den Verein verlassen hatten, landete der Klub 1964 sogar in der 2. Liga und wurde zur Fahrstuhlmannschaft. 1966 hörte mit Präsident Henri Germain auch der letzte Vertreter der Erfolgsära auf. Mitte der 1970er Jahre gab es noch einmal ein kurzes Aufbäumen. 1973/74 stellte Stade Reims mit dem Argentinier Carlos Bianchi den Torschützenkönig der Nationalliga (30 Treffer), 1975/76 beendete man die Saison auf einem fünften Platz und 1977 gelang der Einzug ins Pokalfinale, das jedoch mit 1:2 gegen AS St. Etienne verloren ging.
Inzwischen plagten den Klub schwere finanzielle Sorgen, die ihn 1978 zwangen, Insolvenz anzumelden. Die nicht erstligataugliche Notelf verabschiedete sich daraufhin 1979 mit nur drei Saisonsiegen zum letzten Mal aus der 1. Liga. Verlassen von Fans und Sponsoren, taumelte Stade Reims einer ungewissen Zukunft entgegen. 1986 und 1987 drangen die Rot-Weißen im Pokal jeweils bis ins Halbfinale vor, wobei am 2. Juni 1987 beim 1:5 gegen Olympique Marseille mit 27.774 Zuschauern sogar noch ein Vereinsrekord registriert wurde. Doch im Januar 1991 kam das Aus, wurde der mit über 50 Millionen Franc verschuldete Traditionsklub zunächst in die 3. Liga zwangsversetzt und im Oktober 1991 schließlich liquidiert.
Der Nachfolgeverein Stade de Reims Champagner FC hielt nicht einmal eine Saison durch, ehe auch er am 11. Mai 1992 Insolvenz anmeldete und Stade Reims endgültig Geschichte wurde. Durchschnittlich 982 Zuschauer hatten der letzten Saison des Klubs beigewohnt.
Im Juli desselben Jahres entstand mit Stade de Reims Champagne ein neuer Verein, der den Spielbetrieb in der sechsten Liga aufnahm. Nach drei Aufstiegen binnen fünf Jahren kehrten die Rêmois schließlich 1999 zur großen Freude der französischen Fußballöffentlichkeit in die 3. Liga zurück. Hinter dem Erfolg stand Brillengrossist Alain Afflelou, der zwischenzeitlich nicht nur sämtliche 1992 beim Vereins-Aus verkauften Pokale und Wimpel aus glorreichen Tagen zurückgekauft hatte, sondern den Klub finanziell auf solide Füße gestellt und ihm 1999 zudem den Traditionsnamen Stade de Reims zurückgegeben hatte.
Längst war Stade Reims zu einem landesweit beliebten Liebling aufgestiegen, und als den Rouge et Blanc 2002 der Aufstieg in die 2. Liga gelang, war die Freude in Frankreich groß. 2002/03 noch sportlich gescheitert, etablierten sich die Rêmois ab 2004 im zweiten Anlauf in der zweithöchsten Spielklasse. Parallel dazu wurde der Umbau des maroden Stade Auguste Delaune vorangetrieben, während 2007 im Ligapokal der Einzug ins Halbfinale gelang und in Reims zarte Erstligaträume erwachten.
Doch als der Stadionumbau 2009 abgeschlossen wurde, stand man in Reims abermals vor sportlichen Trümmern. Nach einer katastrophalen Hinrunde hatte der zur Winterpause verpflichtete Trainer Luis Fernandez mit seinem Team in der Rückrunde 2008/09 zwar aus 18 Spielen 27 Punkte geholt, die aber nicht mehr zum Klassenerhalt reichten. Inzwischen dürfen die seit ihrem sofortigen Wiederaufstieg vom früheren Guingamp- und Mönchengladbach-Verteidiger Hubert Fournier trainierten Rêmois erneut auf eine Etablierung im Profilager hoffen.
Klub, Fans und Region wäre es zu wünschen. Stade Reims ist ungeachtet seiner turbulenten jüngeren Vergangenheit ein stolzer Klub, dessen Aura greifbar ist und dessen Tradition ihn zu einem besonderen Verein macht. Zu einem Verein, dem auch die Erstklassigkeit gut zu Gesicht stehen würde. Zumal Reims dazu inzwischen zweifelsohne alle Voraussetzungen liefert: Das Stadion ist hübsch und wäre mit kleineren Ausbaumaßnahmen erstligatauglich, die Attraktivität des Klubs ist hoch und der Ruhm sowie Legende.
Sonntag, 11. März 2012
VfL Bückeburg
Heutiger Gast im Jahnstadion (Fritz-Rebell-Kampfbahn) ist der VfL Bückeburg. Hier mein Porträt für die 05er-Stadionzeitung. Anpfiff 15 Uhr, alle hin!
Selbst Uralt-05ern steht heute eine Premiere bevor: Denn Pflichtspiele zwischen Göttingen 05 und dem VfL Bückeburg hat es noch nie gegeben. In diesem Sinne also ein doppeltes „Willkommen in Göttingen, VfL Bückeburg“. Das lag einerseits daran, dass Bückeburg und Göttingen bezirkstechnisch derart getrennt sind, dass man sich in unteren Klassen nicht begegnen kann, andererseits aber auch daran, dass Bückeburg sich ligatechnisch zumeist eher bescheiden gab. Was nun wieder für eine 20.000-Einwohnerstadt nicht überraschend und vor allem relativ ist. Denn erfolglos war der VfL wahrlich nicht! Die schillerndsten Jahre waren die Spielzeiten 1953/54-1956/57, als die Grün-Weißen in der damals zweitklassigen Amateuroberliga West mitkickten. Weil aus finanziellen Gründen regelmäßig Leistungsträger abgegeben werden mussten, wurde der VfL später bis in die 1. Kreisklasse durchgereicht. Jene konnte man erst 1972 nach einem epischen Duell mit Nachbar FC Hevesen wieder verlassen. Nach einem Fiasko mit einer überteuerten und lustlosen Legionärself setzte der VfL ab den 1980er Jahren verstärkt auf Nachwuchsarbeit und wurde zu einem Vorbildverein. 1989 gelang mit einer fast ausschließlich aus eigenen Nachwuchsspielern bestückten Elf der Gewinn des Niedersachsenpokals, dem ein DFB-Pokalauftritt gegen die Braunschweiger Eintracht folgte, die sich vor 6.000 Fans mühsam mit 2:0 durchsetzte. Ab 1992 pendelte der mit 1.850 Mitgliedern und 18 Sparten unumwunden als „Großverein“ zu bezeichnende VfL ständig zwischen Landes- und Verbands- bzw. zweigleisiger Oberliga, etablierte sich zunehmend als führendes Fußballteam im Schaumburger Land und feierte weiterhin große Erfolge in der Nachwuchsarbeit. 2011 gelang der bislang größte Erfolg seit den goldenen 50ern. Mit nur drei Niederlagen in 32 Spielen stachen die Residenzstädter im Titelrennen der Landesliga Hannover den hochdotierten 1. FC Wunstorf aus und sicherten sich durch ein von 300 mitgereisten Fans gefeiertes standesgemäßes 7:1 in Heeßel erstmals den Aufstieg in die eingleisige Oberliga Niedersachsen. Erfolgsrezept des Teams um Trainer Timo Nottebrock natürlich auch diesmal: die vorbildliche Nachwuchsarbeit. Finally a personal message to the proud Bückeburg supporter Graham, who is already honored somewhere else by Onkel Günther: “Welcome to the home of the German Pirates. Up the O’s, Up the Gas“!
Mittwoch, 7. März 2012
Insolvenzticker: Glasgow Rangers
Für die Glasgow Rangers sieht es düster aus. Klubdirektor Dave King sprach gegenüber BBC von Befürchtungen, dass die Liquidierung des Klubs unvermeidlich sein könnte.
Nähere Infos: http://www.bbc.co.uk/sport/0/football/17283440
Nähere Infos: http://www.bbc.co.uk/sport/0/football/17283440
Dienstag, 6. März 2012
Insolvenzticker: Port Vale FC
Kurzer Update in Sachen Port Vale FC: da ist der erwartete Insolvenzantrag nun wohl am Freitag gestellt werden wird. Das heißt zudem, dass dem Klub 10 Punkte abgezogen werden und er seine Play-Off-Hoffnungen vermutlich gegen Abstiegssorgen tauschen darf.
Mehr hier: http://www.bbc.co.uk/sport/0/football/17230886
Mehr hier: http://www.bbc.co.uk/sport/0/football/17230886
Insolvenzticker: Kickers Emden/Eintracht Nordhorn
Zu einem der wohl kuriosesten Fußballspiele aller Zeiten kam es am Sonntag in Emden. Dabei trafen der BSV Kickers Emden und der SV Eintracht Nordhorn zu einem Pflichtfreundschaftsspiel ohne Punkte aufeinander.
Beide Klubs sind durch eröffnete Insolvenzverfahren aus der Wertung genommen worden und stehen bereits als Absteiger aus der Oberliga Niedersachsen ab. Aufgrund einer umstrittenen Entscheidung des NFV müssen sie die Saison allerdings in "Pflichtfreundschaftsspielen" zu Ende spielen - so die Gegner denn antreten.
Die Kader der beiden betroffenen Vereine sind nach den Vorfällen freilich völlig auseinander gebrochen, und sowohl Emden als auch Nordhorn spielen mit bunt zusammengewürfelten Mannschaften weiter. Nordhorn hatte vor zwei Wochen mit einer aus Reservespielern bestehenden Elf auf eigenem Platz mit 1:13 gegen den SV Holthausen-Biene verloren.
Nun trafen die beiden Team in Emden zum "Insolvenz-Gipfel" aufeinander, um den "Insolvenz-Meister" zu ermitteln. Kickers Emden sicherte sich mit einem souveränen 7:1 den "Titel". Das absurde Spiel wurde von 225 Zuschauern beobachtet, die für recht fröhlich Stimmung auf den Rängen sorgten.
Hier die Spielberichte aus beiden Lagern
Emden: http://www.oz-online.de/?id=542&did=53203
Nordhorn: http://www.eintracht-nordhorn.de/eintracht/oberliga/925-auch-diese-niederlage-bringt-eintracht-voran.html
Beide Klubs sind durch eröffnete Insolvenzverfahren aus der Wertung genommen worden und stehen bereits als Absteiger aus der Oberliga Niedersachsen ab. Aufgrund einer umstrittenen Entscheidung des NFV müssen sie die Saison allerdings in "Pflichtfreundschaftsspielen" zu Ende spielen - so die Gegner denn antreten.
Die Kader der beiden betroffenen Vereine sind nach den Vorfällen freilich völlig auseinander gebrochen, und sowohl Emden als auch Nordhorn spielen mit bunt zusammengewürfelten Mannschaften weiter. Nordhorn hatte vor zwei Wochen mit einer aus Reservespielern bestehenden Elf auf eigenem Platz mit 1:13 gegen den SV Holthausen-Biene verloren.
Nun trafen die beiden Team in Emden zum "Insolvenz-Gipfel" aufeinander, um den "Insolvenz-Meister" zu ermitteln. Kickers Emden sicherte sich mit einem souveränen 7:1 den "Titel". Das absurde Spiel wurde von 225 Zuschauern beobachtet, die für recht fröhlich Stimmung auf den Rängen sorgten.
Hier die Spielberichte aus beiden Lagern
Emden: http://www.oz-online.de/?id=542&did=53203
Nordhorn: http://www.eintracht-nordhorn.de/eintracht/oberliga/925-auch-diese-niederlage-bringt-eintracht-voran.html
Freitag, 2. März 2012
Insolvenzticker: Port Vale FC
Der englische Viertligist Port Vale FC steht offenbar unmittelbar vor Eröffnung eines Insolvenzverfahrens. Wie die BBC berichtete, sind die Spieler im Februar ohne Bezahlung geblieben. Nun wartet man bei dem Traditionsklub aus Stoke darauf, das seitens des Finanzamtes ein Antrag auf Insolvenz gestellt wird. "Jeder Klub ist verpflichtet, sich um seine Verpflichtungen zu kümmern", wurde von Seiten der Behörde bereits angekündigt, rigoros den Statuten zu folgen.
Port Vale ist nach dem Rücktritt eines seiner Direktoren nicht mehr allein handlungsfähig und aus finanziellen Gründen bereits mit einem Transferembargo belegt.
Sollte es zu dem Insolvenzverfahren kommen, würden dem Klub 10 Punkte abgezogen. Damit würden die Play-off-Hoffnungen der Valiants zerplatzen und der Klub statt dessen in de Abstiegskampf verwickelt. Der Klub war 2002 schon einmal in Insolvenz gegangen und seinerzeit durch eine Gruppe von Anhängern gerettet worden. 2006 investierte Popstar Robbie Williams 240.000 Pfund in seinen Lieblingsklub.
http://www.bbc.co.uk/sport/0/football/17230886
http://www.bbc.co.uk/sport/0/football/17230886
Insolvenzticker: Servette Genf
Das Schweizer Fußball-Oberhaus kommt nicht zur Ruhe. Nach dem gewaltigen Punktabzug für den FC Sion aufgrund dessen von der FIFA nicht genehmigter Transfers und dem spektakulären Aus von Xamax Neuchâtel hat es nun mit Servette Genf den nächsten Klub erwischt: Die Granatroten müssen Insolvenz anmelden. Nicht zum ersten Mal, denn der erst in diesem Jahr Klub in die Erstklassigkeit aufgestiegene Klub war im Februar 2005 schon einmal aus wirtschaftlichen Gründen zusammengebrochen und hatte seinerzeit in der Drittklassigkeit einen Neustart unternehmen müssen.
Nun hat Genfs Präsident Majid Pishyar die Geschicke des derzeitigen Tabellenvierten erneut in die Hände eines Konkursrichters gelegt. In eine Erkärung heißt es: "Liebe Freunde, heute ist ein trauriger Tag für Genf. Wir haben in den letzten Wochen alles dafür gegeben, die Zukunft des Klubs zu sichern. Dennoch habe ich mich schweren Herzens entschieden, die Bilanz zu deponieren". Genf ist mit schätzungsweise zwei Mio. Euro verschuldet.
Weitere Infos: http://www.nzz.ch/nachrichten/sport/aktuell/sporttickerdepartment/urnnewsmlwwwsda-atsch20120301brz017_1.15366489.html
Nachstehend ein Klubporträt aus meiner Feder aus dem Jahr 2010
17 Mal Schweizer Meister. Nicht einmal in über 100 Jahren aus sportlichen Gründen abgestiegen. 2001 im UEFA-Cup bis ins Achtelfinale vorgedrungen – unter anderem mit einem 3:0 bei Hertha BSC.
Servette Genf ist ein stolzer Verein. Einer der stolzesten der Schweiz und zweifelsohne der Stolz der französischsprachigen Schweiz.
Oder muss man sagen, „war ein stolzer Verein“? Nach einem hollywoodreifen finanziellen Vabanquespiel brach Genfs Fußballwelt im Februar 2005 schlagartig in sich zusammen, und der 115-jährige Servette FC durfte sich glücklich schätzen, anschließend zumindest in der dritthöchsten Spielklasse weiterkicken zu dürfen und nicht gänzlich aus dem Vereinsregister gestrichen zu werden.
Seitdem leckt man in Genf seine Wunden. Und träumt davon, das jahrzehntelang geforderte und 2003 endlich eröffnete hochmoderne Stade de Genève mit Spitzenfußball zu beleben. Immerhin ging der kürzlich drohende GAU an den „Granats“ („Granatroten“) vorbei, als die UEFA dem erst 2007 gebildeten Retortenklub Évian Thonon-Gaillard FC aus dem französischen Nobelbad Évian-les-Bains untersagte, seine Heimspiele nach dem Aufstieg in die 2. Liga Frankreichs in Genf auszutragen. So einen Nachbarn vor der Nase zu haben, wäre für die leidgeprüfte Fangemeinde der „Granats“ nur schwer zu verdauen gewesen.
Genf ist eine der Wiegen des Fußballs in der Schweiz und damit in Mitteleuropa. 1890 von Oberschülern als Rugbyverein gegründet, errang der im Genfer Stadtteil Servette ansässige Klub schon 1907 seine erste von 17 Schweizer Fußballmeisterschaften. In den 1920er Jahren bildete Servette gemeinsam mit Grasshopper Zürich (GC) und Young Boys Bern (YB) die „großen Drei“ und stand synonym für Spitzenfußball in der französischsprachigen Westschweiz. Der damalige Trainer Teddy „Ducky“ Duckworth hatte mit modernen Kombinationsfußball die Weichen in Richtung Erfolg gestellt, und 1924 reiste die Schweiz gleich mit neun Servette-Spielern zum Olympischen Fußballturnier nach Paris, wo erst im Finale gegen Uruguay das Aus kam (0:3).
Vier Landesmeisterschaften holte Duckworth zwischen 1921 und 1930 nach Genf, ehe der Engländer vom Wiener Karl Rappan abgelöst wurde, unter dem Servette erneut zum Trendsetter im europäischen Fußball wurde. Rappan – das war der Erfinder der berühmten „Riegeltaktik“, also dem Vorläufer des gefürchteten Catenaccio. 1934 wurde Servette Genf unter Rappan Meister der neugegründeten Schweizer Nationalliga und zählte zu den renommiertesten Vereinen Mitteleuropas.
Starker Mann im Hintergrund war seinerzeit Charles Kellermüller, ein umtriebiger Versicherungsagent, der Spieler wie Mittelstürmer Raymond Passello ins 1930 eröffnete Stade des Charmilles geholt hatte. Dort hatte Kellermüller im selben Jahr zudem ein hochkarätig besetztes „Europaturnier“ ausgetragen lassen, das heute als einer der frühen Vorläufer des Europacups angesehen wird.
Kellermüller war seiner Zeit weit voraus und verwandelte Servette in einen modernen Wirtschaftsbetrieb, der es allerdings ein wenig an der finanziellen Kontrolle mangeln ließ. 1935 hatte der Schuldenberg die imposante Höhe von rund einer Viertelmillion Schweizer Franken erreicht, und während Rappan daraufhin zu den Zürcher Grasshopper wechselte, konnte Servette bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs nur noch 1940 die Meisterschaft erringen.
Nach dem Krieg kam Rappan zurück und legte den Grundstein zu einer neuen Blütezeit. 1955 standen „les Granats“ in ihrem ersten Europapokalspiel ausgerechnet Real Madrid gegenüber (0:2 und 0:5), ehe unter Jean Snella ein Team um Flügelstürmer Jacques „Jacky“ Fatton entstand, das 1961 und 1962 jeweils den Landestitel errang. Mit insgesamt 272 Toren ist Fatton bis heute ewiger Torjäger der Schweizer Nationalliga NLA.
Doch die Musik im Schweizer Spitzenfußball spielte längst im deutschsprachigen Osten. Bern, Zürich und Basel waren die Hochburgen, in denen auch das Kapital saß. Servette wurde zu einem einsamen Stern in der NLA, und das französischsprachige „Welschland“ zur Spitzenfußball-Diaspora. Auch namhafte Transfers wie der von Ex-Bundesligaspieler Bernd Dörfel (1970-72) konnten das nicht ändern. 1979 gelang mit Hilfe von Torjäger Umberto Barberis noch der 14. Titelgewinn sowie der Einzug ins Viertelfinale des Pokalsiegerwettbewerbs (Aus gegen Fortuna Düsseldorf), ehe Präsident Roger Cohannier 1980 angesichts der kargen Kulissen und zögerlichen Rückendeckung der heimischen Wirtschaft frustriert die Brocken hinwarf und konstatierte: “Fußball rentiert in Genf nur dann, wenn wir an der französischen Meisterschaft teilnehmen können“.
Das Erfolgsteam, das 1978 und 1979 zudem jeweils Pokalsieger geworden war, zerbrach daraufhin, und als wenig später der Immobilienhändler Carlo Lavizarri und der Notar Didier Tornare die Führung über den Traditionsverein übernahmen, wurde es turbulent im Stade des Charmilles. 1984 ging erneut der Pokal und 1985 mit nur drei Saisonniederlagen sogar die 15. Meisterschaft nach Genf, ehe Servette plötzlich ohne erkennbares Konzept Altstars wie Karl-Heinz Rummenigge verpflichtete und dennoch nicht mehr über Mittelmaß hinaus kam. Schlimmer noch: als der Immobilienboom endete, waren auch noch die Klubkassen leer.
Erst unter Paul-Annick Weiller stabilisierte sich der Klub, und 1994 konnten „les granats“ erstmals seit neun Jahren wieder die Meistertrophäe in Empfang nehmen. Finanziell blieb die Lage jedoch schwierig, und immer wieder mussten Leistungsträger verkauft werden. So ging der Brasilianer Sonny Anderson nach der Meisterschaft 1994 zum AS Monaco, während der spätere deutsche Nationalspieler Oliver Neuville 1996 nach Mallorca wechselte.
Als im Januar 1997 der französische Privatsender Canal+ die Führung übernahm, sollte alles besser werden. Canal+ hatte zuvor den französischen Klub Paris St-Germain in ein Spitzenteam verwandelt und wollte dasselbe nun mit Servette Genf tun. Unter Trainer Gérard Castella entstand ein Team aus lauter Frankoschweizern, das 1998/99 tatsächlich den Durchbruch schaffte und zum 17. Mal den Titel des Schweizer Landesmeisters nach Genf holte.
Doch es war kein Erfolg von Dauer. Die Zuschauerzahlen im längst maroden Stade des Charmilles blieben übersichtlich, und obwohl sich eine engagierte Fanschar um den Klub scharte, fehlte Servette die Wirtschaftskraft. 2001 führte Lucien Favre „les granats“ u.a. über Hertha BSC noch bis ins Achtelfinale des UEFA-Cups, ehe Canal+ den Verein im Folgejahr auf UEFA-Anordnung verkaufen musste, da der Besitz von zwei Klubs nicht mehr erlaubt war und Canal+ an PSG festhalten wollte.
Zur selben Zeit tobte ein kommunales Tohuwabohu um den Bau des Stade de Genève, das schließlich 2003 eröffnet wurde. Servette galt fortan als „Schlafener Riese“ in einem auch wirtschaftlich interessanten attraktiven Großraum, zumal Servettes traditionelle Konkurrenz in der französischsprachigen Romandie (Xamax Neuchâtel und Lausanne) längst den Anschluss verpasst hatte. Kurzum: der Klub schien das Potenzial zur Führungskraft zu haben.
Im Februar 2004 kam Marc Roger nach Genf. Ein umtriebiger französischer Spieleragent mit „Kontakten“, der als „eigenwillig“ beschrieben wurde. Er hatte Großes vor mit Servette Genf und dem hochmodernen Stadion, das wie geschaffen schien, Genf in einen Nabel des zentraleuropäischen Spitzenfußballs zu verwandeln. Spieler aus elf Nationen wurden angeheuert – darunter der französische Weltmeister Christian Karembeu sowie der Rumäne Viorel Moldovan -, und das Ziel lautete Champions League – für einen Schweizer Klub traditionell ein hohes Ziel.
Ein Jahr später verlor Servette Genf zum ersten Mal in seiner Geschichte den Erstligastatus. Alles war fürchterlich schief gegangen. In einem abenteuerlichen Finanzgeflecht waren Schulden in Höhe von über elf Millionen Franken entstanden, woraufhin der Nationalverband im Februar 2005 die Rote Karte gezogen hatte. Während Roger sich fluchtartig nach Frankreich absetzte und nach seiner Rückkehr inhaftiert sowie 2008 auch verurteilt wurde, musste Servette 2005/06 den Platz seiner Reserve in der 3. Liga einnehmen.
Schon im ersten Anlauf gelang unter beachtlichem Zuschauerinteresse der Aufstieg in die 2. Liga, der Servette bislang jedoch nicht hat entkommen können. 2009/10 erreichte man nach einer starken Rückrunde immerhin Platz vier und begrüßte im Romandie-Derby gegen Lausanne-Sports annähernd 10.000 Zuschauer, was für die Schweiz eine beachtliche Kulisse darstellt. Seit 2008 lenkt der iranische Geschäftsmann Majid Pishyar (Manager des weltweit operierenden Firmen-Konglomerats „32gropup“) den Klub und strebt nach der raschen Rückkehr in die inzwischen Super League genannte höchste Spielklasse der Schweiz. Denn eins ist klar: Servette ist noch immer ein „Schlafender Riese“, der mit seinem modernen Stadion und dem gewaltigen Einzugsgebiet eigentlich nur noch erweckt werden muss.
Nun hat Genfs Präsident Majid Pishyar die Geschicke des derzeitigen Tabellenvierten erneut in die Hände eines Konkursrichters gelegt. In eine Erkärung heißt es: "Liebe Freunde, heute ist ein trauriger Tag für Genf. Wir haben in den letzten Wochen alles dafür gegeben, die Zukunft des Klubs zu sichern. Dennoch habe ich mich schweren Herzens entschieden, die Bilanz zu deponieren". Genf ist mit schätzungsweise zwei Mio. Euro verschuldet.
Weitere Infos: http://www.nzz.ch/nachrichten/sport/aktuell/sporttickerdepartment/urnnewsmlwwwsda-atsch20120301brz017_1.15366489.html
Nachstehend ein Klubporträt aus meiner Feder aus dem Jahr 2010
17 Mal Schweizer Meister. Nicht einmal in über 100 Jahren aus sportlichen Gründen abgestiegen. 2001 im UEFA-Cup bis ins Achtelfinale vorgedrungen – unter anderem mit einem 3:0 bei Hertha BSC.
Servette Genf ist ein stolzer Verein. Einer der stolzesten der Schweiz und zweifelsohne der Stolz der französischsprachigen Schweiz.
Oder muss man sagen, „war ein stolzer Verein“? Nach einem hollywoodreifen finanziellen Vabanquespiel brach Genfs Fußballwelt im Februar 2005 schlagartig in sich zusammen, und der 115-jährige Servette FC durfte sich glücklich schätzen, anschließend zumindest in der dritthöchsten Spielklasse weiterkicken zu dürfen und nicht gänzlich aus dem Vereinsregister gestrichen zu werden.
Seitdem leckt man in Genf seine Wunden. Und träumt davon, das jahrzehntelang geforderte und 2003 endlich eröffnete hochmoderne Stade de Genève mit Spitzenfußball zu beleben. Immerhin ging der kürzlich drohende GAU an den „Granats“ („Granatroten“) vorbei, als die UEFA dem erst 2007 gebildeten Retortenklub Évian Thonon-Gaillard FC aus dem französischen Nobelbad Évian-les-Bains untersagte, seine Heimspiele nach dem Aufstieg in die 2. Liga Frankreichs in Genf auszutragen. So einen Nachbarn vor der Nase zu haben, wäre für die leidgeprüfte Fangemeinde der „Granats“ nur schwer zu verdauen gewesen.
Genf ist eine der Wiegen des Fußballs in der Schweiz und damit in Mitteleuropa. 1890 von Oberschülern als Rugbyverein gegründet, errang der im Genfer Stadtteil Servette ansässige Klub schon 1907 seine erste von 17 Schweizer Fußballmeisterschaften. In den 1920er Jahren bildete Servette gemeinsam mit Grasshopper Zürich (GC) und Young Boys Bern (YB) die „großen Drei“ und stand synonym für Spitzenfußball in der französischsprachigen Westschweiz. Der damalige Trainer Teddy „Ducky“ Duckworth hatte mit modernen Kombinationsfußball die Weichen in Richtung Erfolg gestellt, und 1924 reiste die Schweiz gleich mit neun Servette-Spielern zum Olympischen Fußballturnier nach Paris, wo erst im Finale gegen Uruguay das Aus kam (0:3).
Vier Landesmeisterschaften holte Duckworth zwischen 1921 und 1930 nach Genf, ehe der Engländer vom Wiener Karl Rappan abgelöst wurde, unter dem Servette erneut zum Trendsetter im europäischen Fußball wurde. Rappan – das war der Erfinder der berühmten „Riegeltaktik“, also dem Vorläufer des gefürchteten Catenaccio. 1934 wurde Servette Genf unter Rappan Meister der neugegründeten Schweizer Nationalliga und zählte zu den renommiertesten Vereinen Mitteleuropas.
Starker Mann im Hintergrund war seinerzeit Charles Kellermüller, ein umtriebiger Versicherungsagent, der Spieler wie Mittelstürmer Raymond Passello ins 1930 eröffnete Stade des Charmilles geholt hatte. Dort hatte Kellermüller im selben Jahr zudem ein hochkarätig besetztes „Europaturnier“ ausgetragen lassen, das heute als einer der frühen Vorläufer des Europacups angesehen wird.
Kellermüller war seiner Zeit weit voraus und verwandelte Servette in einen modernen Wirtschaftsbetrieb, der es allerdings ein wenig an der finanziellen Kontrolle mangeln ließ. 1935 hatte der Schuldenberg die imposante Höhe von rund einer Viertelmillion Schweizer Franken erreicht, und während Rappan daraufhin zu den Zürcher Grasshopper wechselte, konnte Servette bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs nur noch 1940 die Meisterschaft erringen.
Nach dem Krieg kam Rappan zurück und legte den Grundstein zu einer neuen Blütezeit. 1955 standen „les Granats“ in ihrem ersten Europapokalspiel ausgerechnet Real Madrid gegenüber (0:2 und 0:5), ehe unter Jean Snella ein Team um Flügelstürmer Jacques „Jacky“ Fatton entstand, das 1961 und 1962 jeweils den Landestitel errang. Mit insgesamt 272 Toren ist Fatton bis heute ewiger Torjäger der Schweizer Nationalliga NLA.
Doch die Musik im Schweizer Spitzenfußball spielte längst im deutschsprachigen Osten. Bern, Zürich und Basel waren die Hochburgen, in denen auch das Kapital saß. Servette wurde zu einem einsamen Stern in der NLA, und das französischsprachige „Welschland“ zur Spitzenfußball-Diaspora. Auch namhafte Transfers wie der von Ex-Bundesligaspieler Bernd Dörfel (1970-72) konnten das nicht ändern. 1979 gelang mit Hilfe von Torjäger Umberto Barberis noch der 14. Titelgewinn sowie der Einzug ins Viertelfinale des Pokalsiegerwettbewerbs (Aus gegen Fortuna Düsseldorf), ehe Präsident Roger Cohannier 1980 angesichts der kargen Kulissen und zögerlichen Rückendeckung der heimischen Wirtschaft frustriert die Brocken hinwarf und konstatierte: “Fußball rentiert in Genf nur dann, wenn wir an der französischen Meisterschaft teilnehmen können“.
Das Erfolgsteam, das 1978 und 1979 zudem jeweils Pokalsieger geworden war, zerbrach daraufhin, und als wenig später der Immobilienhändler Carlo Lavizarri und der Notar Didier Tornare die Führung über den Traditionsverein übernahmen, wurde es turbulent im Stade des Charmilles. 1984 ging erneut der Pokal und 1985 mit nur drei Saisonniederlagen sogar die 15. Meisterschaft nach Genf, ehe Servette plötzlich ohne erkennbares Konzept Altstars wie Karl-Heinz Rummenigge verpflichtete und dennoch nicht mehr über Mittelmaß hinaus kam. Schlimmer noch: als der Immobilienboom endete, waren auch noch die Klubkassen leer.
Erst unter Paul-Annick Weiller stabilisierte sich der Klub, und 1994 konnten „les granats“ erstmals seit neun Jahren wieder die Meistertrophäe in Empfang nehmen. Finanziell blieb die Lage jedoch schwierig, und immer wieder mussten Leistungsträger verkauft werden. So ging der Brasilianer Sonny Anderson nach der Meisterschaft 1994 zum AS Monaco, während der spätere deutsche Nationalspieler Oliver Neuville 1996 nach Mallorca wechselte.
Als im Januar 1997 der französische Privatsender Canal+ die Führung übernahm, sollte alles besser werden. Canal+ hatte zuvor den französischen Klub Paris St-Germain in ein Spitzenteam verwandelt und wollte dasselbe nun mit Servette Genf tun. Unter Trainer Gérard Castella entstand ein Team aus lauter Frankoschweizern, das 1998/99 tatsächlich den Durchbruch schaffte und zum 17. Mal den Titel des Schweizer Landesmeisters nach Genf holte.
Doch es war kein Erfolg von Dauer. Die Zuschauerzahlen im längst maroden Stade des Charmilles blieben übersichtlich, und obwohl sich eine engagierte Fanschar um den Klub scharte, fehlte Servette die Wirtschaftskraft. 2001 führte Lucien Favre „les granats“ u.a. über Hertha BSC noch bis ins Achtelfinale des UEFA-Cups, ehe Canal+ den Verein im Folgejahr auf UEFA-Anordnung verkaufen musste, da der Besitz von zwei Klubs nicht mehr erlaubt war und Canal+ an PSG festhalten wollte.
Zur selben Zeit tobte ein kommunales Tohuwabohu um den Bau des Stade de Genève, das schließlich 2003 eröffnet wurde. Servette galt fortan als „Schlafener Riese“ in einem auch wirtschaftlich interessanten attraktiven Großraum, zumal Servettes traditionelle Konkurrenz in der französischsprachigen Romandie (Xamax Neuchâtel und Lausanne) längst den Anschluss verpasst hatte. Kurzum: der Klub schien das Potenzial zur Führungskraft zu haben.
Im Februar 2004 kam Marc Roger nach Genf. Ein umtriebiger französischer Spieleragent mit „Kontakten“, der als „eigenwillig“ beschrieben wurde. Er hatte Großes vor mit Servette Genf und dem hochmodernen Stadion, das wie geschaffen schien, Genf in einen Nabel des zentraleuropäischen Spitzenfußballs zu verwandeln. Spieler aus elf Nationen wurden angeheuert – darunter der französische Weltmeister Christian Karembeu sowie der Rumäne Viorel Moldovan -, und das Ziel lautete Champions League – für einen Schweizer Klub traditionell ein hohes Ziel.
Ein Jahr später verlor Servette Genf zum ersten Mal in seiner Geschichte den Erstligastatus. Alles war fürchterlich schief gegangen. In einem abenteuerlichen Finanzgeflecht waren Schulden in Höhe von über elf Millionen Franken entstanden, woraufhin der Nationalverband im Februar 2005 die Rote Karte gezogen hatte. Während Roger sich fluchtartig nach Frankreich absetzte und nach seiner Rückkehr inhaftiert sowie 2008 auch verurteilt wurde, musste Servette 2005/06 den Platz seiner Reserve in der 3. Liga einnehmen.
Schon im ersten Anlauf gelang unter beachtlichem Zuschauerinteresse der Aufstieg in die 2. Liga, der Servette bislang jedoch nicht hat entkommen können. 2009/10 erreichte man nach einer starken Rückrunde immerhin Platz vier und begrüßte im Romandie-Derby gegen Lausanne-Sports annähernd 10.000 Zuschauer, was für die Schweiz eine beachtliche Kulisse darstellt. Seit 2008 lenkt der iranische Geschäftsmann Majid Pishyar (Manager des weltweit operierenden Firmen-Konglomerats „32gropup“) den Klub und strebt nach der raschen Rückkehr in die inzwischen Super League genannte höchste Spielklasse der Schweiz. Denn eins ist klar: Servette ist noch immer ein „Schlafender Riese“, der mit seinem modernen Stadion und dem gewaltigen Einzugsgebiet eigentlich nur noch erweckt werden muss.
Insolvenzticker: BV Cloppenburg
Die Oberliga Niedersachsen ist in dieser Saison wahrlich von Turbulenzen geplagt. Mit Kickers Emden und Eintracht Nordhorn wurden bereits zwei Mannschaften wegen eines Insolvenzverfahrens aus der Wertung genommen, müssen aber nach Verbandsauflagen weiterhin zu "Pflichtfreundschaftsspielen" zur Verfügung stehen. In Osterholz-Scharmbeck und Heeslingen sorgten unterdessen Hausdurchsuchungen durch die Finanzbehörden für Aufregung, wird zumindest auch in Osterholz offen über einen Rückzug aus der 5. Liga nachgedacht. Gerüchte bringen derweil regelmäßig den hochdotierten Goslarer SC 08 ins Gespräch, bei dem alles mit Sponsor Folkert Bruns steht und, so wird befürchtet, auch fällt.
Und nun rückte auch noch der BV Cloppenburg ins Blickfeld. Sportlich souverän auf dem Weg in die Regionalliga überraschten die "Zebras" mit der Ankündigung, ihre Mannschaft zum Saisonende aus dem Spielbetrieb zu nehmen. Das ist wohl zunächst "nur" als politische Drohung zu verstehen. Denn in Cloppenburg hat der Stadtrat in dieser Woche mit 18 zu 14 Stimmen bei drei Enthaltungen beschlossen, rund um das Hauptspielfeld des BV Cloppenburg im Stadion an der Friesoyther Straße eine Laufbahn inklusive der Wurf- und Sprungdisziplinen anzulegen. Ein seit fünf Jahren schwelender Stadionstreit zwischen TV und BV Cloppenburg wurde damit im Grundsatz gegen den BVC, der noch bis 2025 Pächter der Anlage ist, entschieden.
Das Präsidium des Klubs kündigte daraufhin offiziell an, zum Saisonende alle Jugendmannschaften und auch die Oberliga-Elf aus dem Spielbetrieb zurück zu ziehen. „Wir haben ja keine Plätze mehr", wird ein Vorstandsmitglied zitiert. Außerdem sei der geforderte Rückbau des Stadions mit Kosten verbunden. In den letzten Jahren hat der Klub eine hohe sechsstellige Summe in den Ausbau des Stadions gesteckt, das zuvor als Bestandteil einer weitläufigen Speedwaybahn über keinerlei Atmosphäre verfügte. Der Klub gilt als leicht, aber nicht bedrohlich verschuldet. Er kann seine Kredite mit den laufenden Einnahmen bedienen, hat aber keine Mittel zum Umbau des Stadions zur Verfügung.
Dem Unabhängigen, SPD und Grünen beantragten Umbau zufolge soll nun eine zusammenhängende Leichtathletikanlage im Stadion gebaut werden. Die CDU hatte als Kompromiss vergeblich angeregt, eine kleinere Laufbahn mit vier Spuren rund um das Hauptfußballfeld anzulegen und die anderen Disziplinen abzutrennen. Alternativ war als „große Lösung" zudem ein anderer Standort in der Nähe der Berufsschule vorgeschlagen worden. Beides hatte der TV Cloppenburg kategorisch abgelehnt.
Der BVC erhofft sich mit seiner Rückzugsdrohung eine Änderung der Entscheidung. Insider sehen dafür aber nur wenig Spielraum. Nach Ansicht des BVC kann der bisherige Trainings- und Spielbetrieb nach dem Umbau nicht mehr aufrecht erhalten werden. „Es müssten circa 350 Kinder und Jugendliche nach Hause geschickt werden“, heißt es vom Verein. „Im Moment ist die Stimmung deprimierend“, bekannte Klubchef Professor Dr. Joachim Schrader gegenüber der Presse.
Die "Münsterländische Tageszeitung" berichtet von einer Pressekonferenz mit Schrader: „So wie’s aussieht, stehen uns künftig noch zwei Trainingsplätze für 28 Mannschaften zur Verfügung. Können Sie mir sagen, wie das gehen soll“, fragt Schrader rhetorisch in die Runde - und gibt die mögliche Antwort gleich selbst. „Wir überlegen, ob wir die Jugendabteilung und/oder den Frauenfußballbereich abgeben“. Der Mediziner zeigt sich tief enttäuscht von einigen Lokalpolitikern. „Da gibt es Leute, die sitzen bei unseren Heimspielen fast jedes Mal auf der Tribüne. Sie müssten doch erkennen können, was sich bei uns in den letzten Jahren getan hat“, meint Schrader, der fast resignierend diesen Eindruck gewinnt: „Für einen Triumph über einen politischen Gegner wird in Cloppenburg in Kauf genommen, dass ein Fußballverein vernichtet wird. Die Politik entfernt sich täglich weiter von den Bürgern“.
Der Oberliga Niedersachsen drohen turbulente Wochen. Eine gute Nachricht gibt es aber dennoch: Gestern wurde prinzipiell beschlossen, den BSV Kickers Emden nicht sterben zu lassen. Damit ist eine Grundlage vorhanden, dass die Ostfriesen die Saison ordnungsgemäß zu Ende bringen und im nächsten Spieljahr in der Landesliga antreten können.
Und nun rückte auch noch der BV Cloppenburg ins Blickfeld. Sportlich souverän auf dem Weg in die Regionalliga überraschten die "Zebras" mit der Ankündigung, ihre Mannschaft zum Saisonende aus dem Spielbetrieb zu nehmen. Das ist wohl zunächst "nur" als politische Drohung zu verstehen. Denn in Cloppenburg hat der Stadtrat in dieser Woche mit 18 zu 14 Stimmen bei drei Enthaltungen beschlossen, rund um das Hauptspielfeld des BV Cloppenburg im Stadion an der Friesoyther Straße eine Laufbahn inklusive der Wurf- und Sprungdisziplinen anzulegen. Ein seit fünf Jahren schwelender Stadionstreit zwischen TV und BV Cloppenburg wurde damit im Grundsatz gegen den BVC, der noch bis 2025 Pächter der Anlage ist, entschieden.
Das Präsidium des Klubs kündigte daraufhin offiziell an, zum Saisonende alle Jugendmannschaften und auch die Oberliga-Elf aus dem Spielbetrieb zurück zu ziehen. „Wir haben ja keine Plätze mehr", wird ein Vorstandsmitglied zitiert. Außerdem sei der geforderte Rückbau des Stadions mit Kosten verbunden. In den letzten Jahren hat der Klub eine hohe sechsstellige Summe in den Ausbau des Stadions gesteckt, das zuvor als Bestandteil einer weitläufigen Speedwaybahn über keinerlei Atmosphäre verfügte. Der Klub gilt als leicht, aber nicht bedrohlich verschuldet. Er kann seine Kredite mit den laufenden Einnahmen bedienen, hat aber keine Mittel zum Umbau des Stadions zur Verfügung.
Dem Unabhängigen, SPD und Grünen beantragten Umbau zufolge soll nun eine zusammenhängende Leichtathletikanlage im Stadion gebaut werden. Die CDU hatte als Kompromiss vergeblich angeregt, eine kleinere Laufbahn mit vier Spuren rund um das Hauptfußballfeld anzulegen und die anderen Disziplinen abzutrennen. Alternativ war als „große Lösung" zudem ein anderer Standort in der Nähe der Berufsschule vorgeschlagen worden. Beides hatte der TV Cloppenburg kategorisch abgelehnt.
Der BVC erhofft sich mit seiner Rückzugsdrohung eine Änderung der Entscheidung. Insider sehen dafür aber nur wenig Spielraum. Nach Ansicht des BVC kann der bisherige Trainings- und Spielbetrieb nach dem Umbau nicht mehr aufrecht erhalten werden. „Es müssten circa 350 Kinder und Jugendliche nach Hause geschickt werden“, heißt es vom Verein. „Im Moment ist die Stimmung deprimierend“, bekannte Klubchef Professor Dr. Joachim Schrader gegenüber der Presse.
Die "Münsterländische Tageszeitung" berichtet von einer Pressekonferenz mit Schrader: „So wie’s aussieht, stehen uns künftig noch zwei Trainingsplätze für 28 Mannschaften zur Verfügung. Können Sie mir sagen, wie das gehen soll“, fragt Schrader rhetorisch in die Runde - und gibt die mögliche Antwort gleich selbst. „Wir überlegen, ob wir die Jugendabteilung und/oder den Frauenfußballbereich abgeben“. Der Mediziner zeigt sich tief enttäuscht von einigen Lokalpolitikern. „Da gibt es Leute, die sitzen bei unseren Heimspielen fast jedes Mal auf der Tribüne. Sie müssten doch erkennen können, was sich bei uns in den letzten Jahren getan hat“, meint Schrader, der fast resignierend diesen Eindruck gewinnt: „Für einen Triumph über einen politischen Gegner wird in Cloppenburg in Kauf genommen, dass ein Fußballverein vernichtet wird. Die Politik entfernt sich täglich weiter von den Bürgern“.
Der Oberliga Niedersachsen drohen turbulente Wochen. Eine gute Nachricht gibt es aber dennoch: Gestern wurde prinzipiell beschlossen, den BSV Kickers Emden nicht sterben zu lassen. Damit ist eine Grundlage vorhanden, dass die Ostfriesen die Saison ordnungsgemäß zu Ende bringen und im nächsten Spieljahr in der Landesliga antreten können.
Donnerstag, 1. März 2012
Buchtip: Rot-Weiss Essen in den 70ern
Ein Buch über Rot-Weiss Essen. Und dann auch noch über die „Goldenen 70er“ beim heutigen Regionalligisten. Das 342-Seiten-Buch von Karsten Kiepert ist eindeutig eine Zeitreise. Eine Einladung in eine Epoche, in der der Fußball noch schwarzweiß war. In der es nach Bier und Bratwurst roch, auf den Rängen allmählich die Schlipsträger den Kutten wichen, aus Spielern Stars wurden. In Essen allerdings ein wenig später als anderswo.
Nicht nur deshalb ist Rot-Weiss Essen ein phantastisches Thema für diese Zeit, und Kiepert gelingt es in seinem (natürlich!) ausschließlich schwarz-weiß gehaltenen Buch auch großartig, die Zeit und die Umstände einzufangen, zu konservieren und zu präsentieren. Damit sei sogleich gesagt, dass dieses Buch sich zwar natürlich in erster Linie an RWE-Fans richtet, es aber für alle Nostalgiker einen großartigen Fundus aus schönen alten Tagen liefert.
Nicht nur deshalb ist Rot-Weiss Essen ein phantastisches Thema für diese Zeit, und Kiepert gelingt es in seinem (natürlich!) ausschließlich schwarz-weiß gehaltenen Buch auch großartig, die Zeit und die Umstände einzufangen, zu konservieren und zu präsentieren. Damit sei sogleich gesagt, dass dieses Buch sich zwar natürlich in erster Linie an RWE-Fans richtet, es aber für alle Nostalgiker einen großartigen Fundus aus schönen alten Tagen liefert.
Da sind die Fotos. Herrliche Impressionen von der Hafenstraße, mit einem schönen Blickwinkel für und auf den Alltag damals. Die Bilder zeigen, dass es beim Fußball in den 1970ern wahrlich nicht nur um Fußball ging. Er war Alltagsgeschichte. Lebenskultur, keine Eventkultur. Und es war auch die Zeit, in der es neben dem Spielfeld bisweilen etwas ruppig zuging – gerade auch an der Hafenstraße im Essener Norden. Und so garniert Kiepert sportlich geprägte Spielberichte schön mit Anekdoten, was zeitgleich auf den Rängen oder vor dem Stadion los war. Kiepert war – und ist – eben RWE-Fan, der es alles selbst miterlebt hat.
Die Texte und Interviews sind flott geschrieben. Griffige Ruhrpottschreibe, kenntnisreiche Interviews mit teilweise überraschenden Aussagen. Bunte Eindrücke über das Leben nicht allzu bekannter Bundesligaspieler, denn mit Ausnahme von Ente Lippens, Manni Burgsmüller und Horst Hrubesch hat RWE ja in jenen Tagen niemanden hervorgebracht, der es zu bis heute über die Stadtgrenzen reichenden Ruhm gebracht hat. Oder kennt noch jemand Heinz Stauvermann, Günter Fürhoff, Werner Kik? Dazu kommen Interviews mit Zeitzeugen wie dem langjährigen Fan „Manni“ oder einem Anhänger, der auf über 700 Spiele kommt.
Und dann sind da natürlich all die Erfolge in einer der aufregendsten Epochen Rot-Weisser Vereinsgeschichte. Fünf Jahre Bundesliga, zwei Aufstiegsrunden, Relegationsspiele gegen Nürnberg und Karlsruhe, ein mitreissender Sturmlauf, bei dem Burgsmüller, Hrubesch und Lippens RWE 1975/76 fast in den UEFA-Cup geschossen hätten – Kiepert hat einiges zu erzählen.
Garniert wird das Ganze mit reichlich zeitgeschichtlichem Material wie Zeitungsausschnitten, Statistik, zig Spielerporträts und vielen kleinen Anekdötchen. Ein Buch voller Liebe, zu verordnen jedem RWE-Fan und/oder Sympathisanten, zu empfehlen jedem, der in den 70ern Bundesligafußball erlebt hat und eine Fundgrube für alle jüngeren Fans, die wissen wollen, wie es damals war.
Karsten Kiepert
Rot-Weiss Essen. Die70er. Mythen. Legenden. Bundesliga. Eine unvergessliche Zeit...
Agon Sportverlag, Kassel. ISBN 978-3-89784-387-5. 24,90 Euro
Abonnieren
Posts (Atom)