Mit dem Fußball ist es manchmal wie mit der Liebe. Aus einem Wust an Möglichkeiten sticht eine heraus, die einem den Kopf verdreht. Ehe man es versteht, ist es schon zu spät, ist man hoffnungslos verliebt.
So ging es mir kürzlich in Buenos Aires, als ich mich auf eine Expedition durch die lokale Fußballwelt machte und auf der siebten Station vor dem Estadio Tomás Adolfo Ducó stand. Es war Liebe auf den ersten Blick. Die Außenmauern des Areals wie eine Zeitreise in die frühen 1950er. Roter Backstein, ein mächtiger Turm, der in den Himmel der argentinischen Hauptstadt ragt, an der Silhouette des Stadions ebenso mächtig wie nüchtern die Worte „HURACAN“. Das alles in einem Umfeld, das nichts von der kühlen Überlegenheit von Rivers Monumental oder der kultigen Nachbarschaft von Bocas La Bombonera hat. Huracáns Spielstätte liegt inmitten des stinknormalen Alltags von Buenos Aires, und genau das ist es, was der Arena ihre Ausstrahlung verleiht. Hier ist der Fußball zuhause, nicht die Show!
Und wie in der Liebe – wo neben der Optik immer auch die Emotion wirkt – hatte ich Glück und traf im Eingangsbereich des Stadions einen Menschen, der mir nicht nur bereitwillig die Tore zum heiligen Grund öffnete, sondern mich auch noch freundlich Willkommen hieß. Und dann stand ich da, auf Spielplatzhöhe, fühlte mich so klein und so erhaben, angesichts dieser mächtigen Wälle voin Stehplatzrängen und zementierten Sitzplätzen, die mich umgaben, angesichts der Patina, die überall spürbar war, angesichts des warmen Gefühls, das mich durchflutete. Man nennt es auch Liebe.
Der Club Atlético Huracán ist nur einer von zahlreichen „großen“ Fußballvereinen Argentiniens bzw. Buenos Aires, und er steht deutlich im Schatten von Boca und River, den beiden überragenden Rivalen der Stadt bzw. des Landes. Wer sich für Huracán entscheidet, lebt entweder im Barrio Parque Patricios oder wird angezogen von einer Leidenschaft und Intensität, die selbst für Buenos Aires nicht selbstverständlich ist. Das verdankt Huracán einerseits seinem 1949 eröffneten Stadion, über das Argentinien-Experte Reinaldo Coddou in „Welthauptstadt des Fußballs“ schrieb „dieses traditionsreiche Stadion ist Buenos Aires pur. Die einzelnen Sektoren tragen die Namen von ehemaligen Spielern, Schriftstellern, Musikern, Tango-Dichtern und sogar den eines ehemaligen Boxers des Viertels“.
Andererseits sind es der ungewöhnliche Name und das noch ungewöhnlichere Logo, das den Klub so besonders macht. Huracán steht für „Hurrikan“, und das Klublogo stellt einen Heißluftballon dar, in dessen Mitte ein großes „H“ steht. Seit 1909 trägt Huracán dieses Wappen, was ihm den Beinamen „Globo“ („Ballon“) eingebracht hat und das zurückgeht auf jenen Heißluftballon, mit dem Argentiniens Flugpionier Jorge Newbery seinerzeit über gleich drei Länder flog und damit ganz Argentinien in Aufregung versetzte. Newbery war Mitglied des CA Huracán.
Drittes Bestandteil des Huracán-Mythos sind die Fans. „Los Quemeros“ – „die Verbrenner“ genannt, weil das Stadion einst direkt neben einer Müllverbrennungsanlage lag, gilt Huracáns Fanszene als kreativ, ein wenig linksgerichtet, ebenso leidenschaftlich wie treu – und auch ein bisschen gewalttätig.
Huracáns Geschichte strotzt vor Erfolgen und großen Namen. Guillerme Stabile, bei der WM 1930 Argentiniens gefürchtetster Angreifer und Torschützenkönig, lief einst für Huracán auf. Ebenso Alfrédo di Stefano, der 1946 für 24 Spiele von River Plate ausgeliehen wurde und elf Tore für „el Globo“ markierte. Die „goldenen Jahre“ des Klubs liegen allerdings weit zurück. Vor allem in den 1920ern war Huracán von Erfolg zu Erfolg geeilt und sich viermal die Meisterschaft gesichert. Mit Einführung des Profitums in Argentinien verpasste man bereits in den 1930ern ein wenig den Anschluss, zählte aber dennoch bis in die 1980er Jahre zur Stammbesetzung des argentinischen Fußballoberhauses (das in Wahrheit eine Großraum-Buenos-Aires-Liga war).
Obwohl Spieler wie Carlos Babington und Miguel Brindisi das schneeweiße Huracán-Jersey trugen, blieben die Erfolge lange aus. Erst als 1971 ein junger Trainer namens Luis César Menotti verpflichtet wurde, wendete sich das Blatt. Zwei Jahre später führte Menotti Huracán zum ersten Titelgewinn seit Einführung des Profitums. Zum Team, das damals das Torneo Metropolitano gewann, gehörten neben Babington und Brindisi auch René Houseman, Alfio Basile und Omar Larrosa. Im Folgejahr erreichten die Rot-Weißen sogar das Halbfinale in der Copa Libertadores, wo Uruguays Meister Peñarol Montevideo für das Aus sorgte. Inzwischen waren mit Osvaldo „Ossi“ Ardiles und Torsteher Héctor Baley zwei weitere spätere Nationalspieler aufgerückt.
Ein Jahrzehnt später waren Glanz und Gloria erneut verflogen, musste sich Huracán 1986 sogar erstmals in die Zweitklassigkeit verabschieden. Carlos Babington führte seinen früheren Klub 1990 ins Oberhaus zurück, wo Huracán 1994 unter seinem Nachfolger Héctor Cúper noch einmal Vizemeister wurde, ehe es 1999 abermals ins Unterhaus ging. Während der 2000er Jahre stand der Klub sogar mehrfach vor dem finanziellen Aus und blieb bis 2007 in der 2. Liga stecken. 2009 schienen Huracáns Hinchas endlich den Lohn für ihre lange Leidenszeit zu erhalten, als „el Globo“ kurz vor dem erneuten Titelgewinn stand, jenen aber mit einem 0:0 gegen Vélez Sársfield am letzten Spieltag verpasste. 2011 ging es abermals in die Zweitklassigkeit – inzwischen war übrigens Ex-Wattenscheid- und Schalke-Profi Carlos Babington Präsident des CA Huracán.
Seit 2014 scheint nun endlich wieder die Sonne über „el Globo“. Im November gelang zunächst ein Elfmeterschießensieg im Pokalfinale gegen Rosario Central, was dem Klub seinen ersten Titel nach 41 Jahren bescherte. Einen Monat später sorgte dann ein 4:1 über Atlético Tucuman zudem für die Rückkehr ins Oberhaus. Dort hofft man sich nun endlich wieder dauerhaft etablieren zu können. Und ich hoffe, demnächst mal wieder nach BA fliegen zu können, um meiner neuen Liebe zu begegnen. „Vamos los Quemeros, yo te vengo a ver…“!
https://www.youtube.com/watch?v=dfJWGLw1Wjc
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