Donnerstag, 17. Oktober 2013

Legendäre Fußballvereine Ostdeutschland

Seit einiger Zeit arbeite ich mit Volldampf am lang erwarteten und längst überfälligen dritten Band der Reihe "Legendäre Fußballvereine", in dem es um die Klubs im Bereich des Nordostdeutschen Fußballverbandes geht. Also grob gesagt: ehemalige DDR plus Westberlin.

Das Buch erscheint im Frühjahr 2015 und wird rund 400 Klubporträts enthalten. Erfasst sind alle Vereine, die zu DDR-Zeiten in der Oberliga bzw. Liga spielten, sowie jene Klubs, die es nach der Wende bis mindestens in die Oberliga Nordost schafften. Aus Berlin bzw. Westberlin sind bis 1990 sämtliche Teams enthalten, die in der Oberliga, Regionalliga bzw. Amateuroberliga Berlin kickten.

Wie bei den bereits erschienen Bänden Norddeutschland und Hessen gehe ich bei den Porträts durchaus ins Detail und vermute, das ist im Sinne der Leserschaft. Trotzdem hätte ich gerne zu diesem recht frühen Stadium mal ein Feedback von Euch. Nachstehend daher das Porträt über den BFC Alemannia 90. Einer von zahlreichen Traditionsvereinen aus Berlin, der über eine große Geschichte verfügt, dessen Gegenwart aber eher unspektakulär ist.

Und an Euch die Frage: wollt Ihr das in dieser Ausführlichkeit, oder ist es Euch zuviel an Information? Diskussionsbeiträge gerne entweder hier in der Kommentarspalte, auf meiner Facebookseite (www.facebook.com/hardygruene) oder per Mail an hallo (at) hardy-gruene.de.

Danke!


BFC Alemannia 90: Pionier aus Reinickendorf
Carl Koppehel, langjähriger Archivar des DFB, sagte einst: „Sie können vom Berliner Fußball-Club Alemannia 1890 mit Recht sagen, dass er unter den ersten zehn deutschen Vereinen einzureihen ist, die unser heutiges Fußballspiel betrieben“. Was Koppehel da in zeitgemäß verschnörkelte Worte verpackte: Alemannia 90 ist einer der ältesten Fußballklubs in Deutschland und gehört zu den einflussreichsten Förderern des Fußballsports zur Jahrhundertwende.

Vom Ruhm vergangener Tage ist heute wenig geblieben. Nach einem Doppelabstieg versanken die 70 Jahre lang zur Berliner Fußballelite zählenden Blau-Gelben ab 1975 in unteren Spielklassen und begnügen sich seitdem mit einer Rolle als Pionierverein, dessen große Zeit längst Geschichte ist.
Alemannias Historie beginnt als Cricketverein. Im Frühjahr 1890 gründeten Jugendliche aus gebildeten Kreisen den Spielverein Jugendlust, der sich satzungsgemäß den „deutschen Ballspielen“ widmete und aus dem am 2. November desselben Jahres der Berliner Thorball- und Fußball-Club Allemannia 90 wurde. Thorball war seinerzeit die deutsche Bezeichnung für Cricket, und das mit den zwei „l“ in Alemannia ist kein Tippfehler, sondern die altdeutsche Schreibweise.

In Berlin stieg Alemannia 90 rasch zu einem der engagiertesten Protagonisten in der gerade erwachenden lokalen Fußballszene auf. Anfänglich auf dem zentral gelegenen Exer spielend (dort steht heute das Friedrich-Ludwig-Jahn-Stadion) animierten die Blau-Gelben andere Berliner Sportfreunde zu Klubgründungen und halfen somit, den Ligaspielbetrieb auszudehnen. Mit Otto Lorenz und Oskar Robel waren 1892 sogar zwei Alemannen unter den Hertha-Gründer zu finden.
Sportlich stritt Alemannia mit eben jener Hertha sowie NNW um die Führungsrolle im Norden Berlins, wobei man im Gegensatz zu den VBB-Mitgliedern Hertha und NNW zunächst dem Konkurrenzverband Märkischen Fußballbund angehörte. Erst 1907 wechselten die Blau-Gelben zum VBB und erreichten 1910 erstmals dessen Oberhaus, dem sie anschließend mit Ausnahme des Zeitraums 1913-17 für zwei Jahrzehnte angehörten. Zudem eröffnete man am 25. August 1912 an der Veltener Straße im Westen von Reinickendorf einen modernen Sportplatz in unmittelbarerer Nachbarschaft zum Kienhorstpark.

Die 1920er Jahre wurden zur Blütezeit der Alemannia. Dafür stehen vor allem Namen wie Fritz „Neipe“ Bache, der von Nachbar Wacker 04 gekommen war, sowie der von Hans „Hanne“ Sobek (zuvor Bavaria 09), der es später auf dem Hertha-Platz am Gesundbrunnen zum Volksidol schaffte. 1924 lief Sobek noch für die Alemannia auf, die sich im Endspiel um die Stadtmeisterschaft mit 3:1 bzw. 2:2 gegen NNW durchsetzte und zum ersten Mal Berliner Meister wurde. In der anschließenden Endrunde um die Deutsche Meisterschaft trafen die Blau-Gelben ausgerechnet auf den 1. FC Nürnberg, der Deutschlands Spitzenfußball seinerzeit beherrschte. Vor 10.000 Zuschauern im Berliner Grunewaldstadion bezog Alemannia eine herbe 1:6-Niederlage, nach der der „Fußball“ schrieb: "Alemannia fiel angesichts des Gegners völlig auseinander und war niemals, auch nur fünf Minuten lang, die Einheit, welche die Mannschaft unbedingt sein musste, wenn sie in Ehren bestehen wollte".

Ein Jahr später ging man im Berliner Endspiel gegen die Hertha zwar als Verlierer vom Platz, durfte als Vizemeister aber dennoch erneut an der Endrunde um die „Deutsche“ teilnehmen. Voller Zuversicht traf das Sobek-Team in der ersten Runde auf den krassen Außenseiter Duisburger Spielverein, der sich jedoch unerwartet mit 2:1 durchsetzte. Für die Alemannia war es das letzte Mal, dass sie um die „Deutsche“ streiten konnte.

Anschließend wechselte Nationalspieler Sobek zur Hertha und die Alemannia rutschte ins Mittelfeld des Berliner Oberhauses ab. Mit dem Abstieg 1929 begann eine turbulente Episode, in der man wiederholt die Rückkehr ins Oberhaus verpasste. 1933 auch offiziell vom zweiten „l“ im Klubnamen befreit, verharrte die Alemannia anschließend bis Kriegsende in der Zweitklassigkeit.
Nach dem Zusammenbruch trat 1945 zunächst die SG Prenzlauer Berg-West in die blau-gelben Fußstapfen. Weil das Klubkasino an der Veltener Straße bei einem Bombenangriff dem Erdboden gleich gemacht worden war, war der Klub allerdings heimatlos und musste auf dem Hertha-Platz an der Plumpe unterschlüpfen.

Sportlich glückte der Neuanfang, und die 1948 zum Traditionsnamen BFC Alemannia 90 zurückkehrenden Reinickendorfer waren in den 1950er Jahren erneut unter den führenden Mannschaften Berlins zu finden. Die Fans rannten den Blau-Gelben förmlich die Bude ein. 1949/50 zählte man pro Spiel fast 13.000 Zahlende auf dem Exil Herthaplatz. Namen wie Torsteher Lessel, Busch, Latzel, Jeske, Trapmann, Sowade, „Sohni“ Liebig, Quast sowie Hientz zählten damals zum Besten, was Berlin zu bieten hatte. Zugleich überzeugte Alemannia 90 durch eine bedächtige und seriöse Führungsarbeit, für die vor allem Vorsitzender Erich Kapinsky und Mannschaftsbetreuer („Manager“) Fred Fischer standen. Die Familie Kapinsky prägte das blau-gelbe Vereinsleben im Übrigen in gleich drei Generationen.

1953 konnte der Klub zwar an die Veltener Straße zurückkehren, die Ligamannschaft aber blieb zunächst auf dem Hertha-Platz. Im weiteren Verlauf bekam Alemannia 90 dann zunehmend Mühe mit den Anforderungen im bezahlten Fußball. Wiederholt verließen Leistungsträger den Verein, dessen Zuschauerschnitt auf 4.000 absank und der 1955/56 aufgrund des schlechteren Torverhältnisses erneut in die Zweitklassigkeit abstieg. Umgehend ins Oberhaus zuückgekehrt, verharrte der Pionierklub nach dem sofortigen Wiederabstieg ab 1958 dauerhaft im Amateurfußball.
Zwischenzeitlich hatte man immerhin den bis heute größten Erfolg der Vereinsgeschichte feiern können, als 1957 in der Deutsche Amateurmeisterschaft der Einzug ins Finale gelungen war. Auf dem Weg dorthin hatte die vom langjährigen BSV-92-Torjäger Hermann „Männe“ Paul betreute Elf mit den Amateuren von Werder Bremen und Nordbadenmeister Amicitia Viernheim gleich zwei favorisierte Teams ausgeschaltet und war am 23. Juni 1957 im Niedersachsenstadion von Hannover auf den Düsseldorfer Stadtteilklub VfL Benrath getroffen. Vor laufenden TV-Kameras und 80.000 Zuschauern auf den Rängen – die Partie bildete  das Vorspiel zum „richtigen“ Finale zwischen dem BVB und dem HSV – unterlag Alemannia den favorisierten Westdeutschen mit 2:4. Der "Kicker" lobte Alemannias "rühmenswerten Kampfgeist" und attestierte den Berlinern "Tapferkeit", befand aber zugleich, dass "gegen den Titelgewinn des VfL nichts einzuwenden ist".

Nach dem erneuten Abstieg kehrte man 1958 dem Hertha-Stadion den Rücken, weil die dortige Pacht zu hoch für das Amateurlager war. Ein tiefer Einschnitt in die Vereinsgeschichte. 1958/59 verbrachte Alemannia im Stadion Rehberg und 1959/60 im Stadion Wittenau, ehe ab 1960 der vereinseigene Platz an der Veltener Straße endlich auch wieder für Ligaspiele genutzt werden konnte. Die Blau-Gelben zahlten jedoch einen hohen Preis für ihre Tingelei, dem das Stammpublikum nur bedingt gefolgt war. Als Alemannia 1960 sogar in der Drittklassigkeit verschwand und man zudem durch Mauerbau mehrere Ligaspieler und zahlreiche Mitglieder an den Osten verlor, stellten sich erste wirtschaftliche Schwierigkeiten ein.

Mitte der 1960er Jahre zeigte sich der Pionierklub allmählich erholt. 1964/65 schaltete man im Berliner Pokal unter anderem Regionalligist BSV 92 aus und scheiterte erst im Halbfinale am Spandauer SV. Just im Jubiläumsjahr 1965 gelang dann auch die Rückkehr ins Berliner Amateuroberhaus, wobei als Erfolgsbasis der Nachwuchs diente, dem unter anderem die späteren Herthaner Thomas Zander und Horst Maaß entsprangen waren.

Zwei Jahre später konnte man an der Veltener Straße auch den Aufstieg in die Regionalliga und damit die Rückkehr in die zweithöchste Spielklasse feiern, wo Polizei-Sportlehrer Gerhard „Johnny“ Nitsch die Blau-Gelben ab 1970 etablierte. Allerdings musste das Team um Kapitän Heiner Kapinsky seine Heimspiel auf dem Füchse-Sportplatz am Freiheitsweg austragen, da der Grantplatz an der Veltener Straße nicht regionalligatauglich war.

Im weiteren Verlauf der 1970er Jahre verloren die Blau-Gelben ihre Führungsrolle im westlichen Reinickendorf an Altrivale Wacker 04. Während die Veilchen vom unweit gelegenen Wackerweg sogar ans Tor zur Bundesliga klopften, verschwand Alemannia 90 nach drei Abstiegen in Folge 1976 in der B-Klasse. Nach gescheiterten Fusionsverhandlungen mit Wacker übernahm schließlich ??? die Stadt Berlin das vereinseigene Geländes am Kienhorstpark und leitete Anfang der 1980er Jahre die längst überfällige Renovierung des Sportplatzes ein. Der BFC Alemannia 90 konzentrierte sich unterdessen auf die Förderung des Nachwuchses.

Einerseits stellte sich der Verein damit zwar den Herausforderungen der Gegenwart, verschwand andererseits aber sportlich in unteren Spielklassen. Erst Ende der 1980er gelang immerhin die Rückkehr in die Landesliga, in der Alemannia 90 auch 1994 noch kickte, als beim Verbandsliganachbarn Wacker 04 die Lichter ausgingen. Nachdem die die Mitglieder der insolventen Veilchen daraufhin dem BFC Alemannia 90 beitraten, lief dessen Leistungsfußballmannschaft zunächst als SG Wacker/Alemannia 90 auf, ehe sie 1998 den  Kunstnamen BFC Alemannia-Wacker erhielt, der ausschließlich für die 1. Mannschaft galt. Gespielt wurde nunmehr im früheren Zweitligastadion am Wackerweg, das durch Wackers langjährige finanziellen Probleme allerdings ziemlich marode war und zunächst aufwändig restauriert werden musste.

Sportlich etablierten sich die Blau-Gelben – die Klubfarben wurden beibehalten - unter dem Berliner Kulttrainer Klaus Basikow alsdann erfolgreich in der Verbandsliga, wo der verblichene SC Wacker 04 zuletzt gekickt hatte. Der anvisierte Aufstieg in die Oberliga Nordost indes misslang, und auch das Publikum strömte nicht wie erhofft. 1997/98 zählte man durchschnittlich ganze 61 Zahlende am Wackerweg. Nach 16 Verbandsligajahren ging es 2008 schließlich hinab in die Landesliga, wo man zur Saison 2013/14 das Namensanhängsel „Wacker“ ablegte und zum Traditionsnamen BFC Alemannia 90 zurückkehrte. Gespielt wird allerdings weiterhin am Wackerweg.

BFC Alemannia 90 – Stadion am Wackerweg – www.bfc-alemanna90.de


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