Bartholomäus Grill war einer meiner wichtigsten Begleiter, als ich im Januar 2008 zum Afrikacup nach Ghana reiste. Ich war weiß Gott kein Afrikaneuling, doch Grills Buch „Ach, Afrika. Bericht aus dem Inneren eines Kontinents“ (Goldmann-Verlag) öffnete mir in vielerlei Hinsicht die Augen für das „wahre Afrika“ und half mir ungemein, meinen Alltag in Ghana zu verstehen.
Nun hat Grill im Vorfeld der WM 2010 in Südafrika ein neues Buch über Afrika geschrieben und sich dabei explizit mit dem Fußball beschäftigt. Für mich ist „Laduuuuuma. Wie der Fußball Afrika verzaubert“, schon jetzt mein „Buch des Jahres 2010“.
Kompetent und mit offenem Herzen erzählt Grill über seine Erlebnisse mit dem Fußball in fast zwei Jahrzehnten als Berichterstatter aus Afrika. Grill liebt Afrika und den Fußball gleichermaßen. Der bekennende BVB-Fan weiß, was es heißt, als Fußballfan zu leben und zu leiden. Das hilft ihm, die Distanz zu überbrücken, die europäische Berichterstatter sonst selten überwinden, wenn es um Afrika und Fußball geht.
Statt sich voller Distanz und Arroganz an den üblichen Geschichten von Vodoo-Zauber und Hexenmeisterei zu ergötzen, nimmt sich Grill selbst aufs Korn und erkennt, dass es zumindest im Dasein eines Fußballfans keine unterschiedlichen Ebenen, sondern nur eine gemeinsame „Ebene der Exotik“ gibt. Schon in seinem Vorwort liefert er ein wunderbares Beispiel dafür: „Nur ein einziges Mal hinterließ König Fußball keinerlei Wirkung. Ich war im Urwald der Zentralafrikanischen Republik auf eine Gruppe von Baka gestoßen, Ureinwohner, die wegen ihrer Kleinwüchsigkeit von kolonialen Ethnographen dem fragwürdigen Sammelbegriff ‚Pygmänen’ zugeordnet wurden, Auf einer Lichtung starrte mich eine Schar nackter Kinder an, als wäre ich soeben vom Mond heruntergefallen. Da hockte ein weißer Mann auf einem Baumstumpf, presste einen seltsamen schwarzen Gegenstand an sein Ohr und schrie manchmal aus unerfindlichen Gründen auf. Ich hörte auf meinem Weltempfänger eine Livereportage aus dem Dortmunder Westfalenstadion, 30. Spieltag der Bundesligasaison 1994/95, meine Borussia gegen den VfL Bochum, 3:1 hieß es am Ende – ein Heimsieg auf dem Weg zur Meisterschaft. Ich musste das unbedingt hören. Aber wie hätte ich den Kindern erklären sollen, wer Sabine Töpperwien ist und was es mit dem BVB auf sich hat?“
Grill taucht als Europäer in Afrika ein und begeht nicht den Fehler, als Gesinnungsafrikaner krampfhaft Verständnis für alle Vorgänge zu heucheln. Er ist als das da, was er tatsächlich ist: Ein gebildeter Weißer in Afrika, einem Kontinent, auf dem die üblichen europäischen Erklärungsschablonen nicht funktionieren. Das macht ihn ehrlich, und das lässt ihn erstaunliche Bilder sehen. So wie bei einem Besuch bei Anthony Yeboah, als ihm ein „goldener Ball“, der dem früheren HSV-Profi einst verliehen wurde, auffiel, an der Goldbezug abgeplatzt war. Grund: Der Nachwuchs hatte mit dem Ball genau das angestellt, für das ein Ball eigentlich gemacht ist. In von Ehrfurcht vor derlei Exponaten geprägten Europa undenkbar, im praxisorientierten afrikanischen Alltag völlig selbstverständlich.
Nicht nur in diesem Beispiel ist Grills Stärke seine Volksnähe und sein „Auge“ für das Praktische. Seine Geschichten sind Alltagsgeschichten über Alltagsprobleme. Über den Fußball findet er Zugang zum Volk und kann dadurch mit afrikanischen Augen über den afrikanischen Fußball berichten. In Afrika kommt man nicht weit, wenn man „europäisch“ denkt.
Auch Grill sieht Afrika als einen problembelasteten Kontinent und klagt über Korruption, Gewalt und Hoffnungslosigkeit. Doch immer wieder sieht er auch das trotz Elend und Gewalt auf dem ganzen Kontinent verbreitete Lachen und die Lebenslust, die sich nicht zuletzt über den Fußball äußert.
15 Kapitel umfasst sein Büchlein, und natürlich steht im Jahr 2010 Südafrika im Vordergrund seiner Berichterstattung. Doch es geht auch nach Togo, nach Ghana, in die Elfenbeinküste und nach Ruanda. Ein Highlight ist Grills Besuch bei Burkhard Pape, einem viele Jahre als Trainer in Afrika arbeitenden Sportlehrer, der u.a. unter Idi Amin in Uganda arbeitete. „Vier Stunden wird er erzählen, ohne Punkt und Komma, ehe er mich wieder entlässt“, schreibt Grill im Vorspann zu dem Gespräch, das erstaunliche Erkenntnisse bringt.
Wer die WM in Südafrika nicht nur als ein reines Fußballereignis betrachtet sondern als Chance, afrikanische Fußballkultur kennenzulernen, und sich dabei nicht vom oberflächlichen Gewäsch der im Sommer in Scharen nach Afrika eilenden „Experten“ das Hirn waschen lassen will, der kommt an Bartalomäus Grills „Laduuuuuma“ nicht vorbei.
Das einzige wirkliche Problem des Buches ist sein Preis. 20 Euro sind für einen reinen Textband mit 256 Seiten viel Geld.
Bartholomäus Grill
Laduuuuuma!
Wie der Fußball Afrika verzaubert
Hoffmann und Campe
ISBN: 978-3-455-50121-6
20 Euro
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