Samstag, 13. März 2010

Randale bei Herthas-Spiel

Vorab: Dies ist keine Aufforderung zur Gewalt. Und dies ist auch kein Versuch, die Geschehnisse von Berlin zu rechtfertigen oder sie gar als positiv zu bewerten. Randale und Gewalt haben beim Fußball nichts zu suchen, und es muss alles getan werden, um die gegenwärtige Entwicklung einzudämmen.
Was ich aber seit längerem mit zunehmendem Magengrummeln verfolge, ist die pauschale Verurteilung bestimmter Fangruppen und ihre Klassifizierung als "Verbrecher" und "Chaoten".
Ich bin den 1970er Jahren zum Fußballfan geworden und habe seitdem regelmäßig Stadien in den höchsten Ligen Deutschlands und Europas besucht. Ich habe nie einer prügelnden Gruppe angehört und auch nie selbst die körperliche Konfrontation mit anderen Fans gesucht. Schon gar nicht bin ich ins Stadion gegangen, weil ich mich prügeln wollte. Aber ich bin oft genug in brisante Situationen geraten und musste um meine körperliche Unversehrheit fürchten. Vor allem die 1980er Jahre waren da einfach nur schlimm. Heysel habe ich live vor dem Fernseher verfolgt. Geschockt und in dem Wissen, dass sich der Fußball verändern wird.
Und der Fußball hat sich verändert. Im Gegensatz zu damals ist es heute grundsätzlich kein Problem mehr, als Gastfan einen Schal oder ein Trikot zu tragen. Das ist gut so, und das muss auch so bleiben.
Aber der Fußball hat sich auch in anderer Hinsicht völlig verändert. Wenn ich heute bei einem Bundesligaspiel bin, fühle ich mich, als wäre ich im Supermarkt. Überall liegen Waren aus, die ich kaufen soll. Als Fan bin ich nur noch Kunde. Nur noch.
Wenn ich die Sportschau gucke, sehe ich bei Bayern-Spielen ein aus Zuschauern gebildetes Werbelogo. Ich muss mir minutenlang angucken, wie der Vater vom Thomas Tuchel auf der Tribüne sitzt und ein Mainz-Spiel guckt. Oder Kalle Rummenigge, wie er flucht. Oder die neue Blondine von irgendeinem Superstar, die auf der Tribüne Aufmersamkeit erregt. Gab es früher auch alles - hat aber nicht einen derartigen Medienrummel nach sich gezogen.
Mich interessiert das nur beiläufig. Ich will Fußball gucken und verstehen, warum Team A Team B geschlagen hat - und genau das erfahre ich wegen der Tuchel-Väter und Blondinen leider viel zu selten.
Ja, ich weiß, das gehört alles zum "Event". Und "wir Fans" wollen das. Und alle wollen tolle Stimmung im Stadion. Gesänge, Jubel, Fröhlichkeit. Ein bisschen Haß darf auch mit dabei sein - wenn Schalke gegen Dortmund spielt, oder Köln gegen Gladbach. Aber bitte alles in Maßen! Ein dummer Spruch gegen den Rivalen ist ok. Doch wenn in Hannover "Tod und Haß dem BTSV" aufgehängt wird, ist Schluss mit dem Verständnis. Dann sind "Chaoten" am Werk.
Ich kenne die Hintergründe der Berliner Randale nicht. Ich weiß nicht, wer sie angezettelt hat, und welche Motivation dahintersteht. Aber ich weiß aus zig Gesprächen mit Fußballfans überall in der Republik, dass die Stimmung nicht gut ist. Viele fühlen sich benutzt, ausgenutzt, ohnmächtig. Die Diskussion um willkürliche Stadionverbote, die pauschale Verurteilung als "Verbrecher", die Platitüden der eigenen Vereine und der eigenen Spieler - das alles führt zu einer wachsenden Unzufriedenheit und Frustration.
Die Distanz zwischen Fans und Verein wächst stetig an.
Und Distanz zum eigenen Verein, ist das nicht eigentlich ein Widerspruch? Viele Fans haben sich bereits abgewandt von ihrem Klub, dem sie oft über Jahrzehnte die Treue hielten. Das fällt nicht weiter auf, da die Bundesliga ja immer neue Rekordzahlen schreibt. Und doch findet es statt. Und was ist mit denen, die in dem Spannungsverhältnis nicht aussteigen, sondern ein Ventil suchen? Für die ein Abstieg einem Weltuntergang nahekommt, und die nicht die Möglichkeit sehen, ihren Verein fallenzulassen oder sich einen anderen zu suchen?
Das, was in Berlin pasiert ist, geht gar nicht. Gar keine Frage! Das ware ein übler Rückfall in die düsteren 1980er Jahre. Aber abgesehen von der Frage, WIE das eigentlich passieren konnte (was war mit den Ordnungskräften?), wäre es zu wünschen, wenn die Gelegenheit genutzt würde, wie damals nach Heysel den Blick AUCH auf die Ursachen der Gewalt zu lenken, statt sie mit Gesetz und Verbot/Ausperrung einfach nur zu zu unterbinden.
Ich glaube jedoch nicht daran, dass das passieren wird. Der Zirkus Fußball muss weitergehen, und inzwischen hat sich der Zirkus längst soweit entwickelt, dass aktive Fans, die gestalten und nicht nur konsumieren wollen, nicht mehr nötig sind.
Vor kurzem wurde der Sportrechtsanwalt Christoph Schickhardt im "Kicker" wie folgt zitiert: "Die Geister, die man gerufen hat, kriegt man jetzt nicht mehr in den Griff. Es werden immer mehr Fanbetreuer, Sozialarbeiter, Sicherheitsleute und Polizisten beschäftigt. Den Vereinen kann man keine Nachlässigkeiten mehr nachweisen. Inzwischen ist der Aufwand für diesen Teil der Fans viel zu hoch. Für das gleiche Geld könnte man längst ganze Schulklassen mit persönlicher Betreuung in die Stadien bringen".
Mich als praktizierenden Fußballfan seit weit über 30 Jahren hat das zutiefst ernüchtert.

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