Mittwoch, 5. Februar 2014
Alle Tassen im Schrank? Stade Brest
Ich mag ja nicht alle Tassen im Schrank zu haben, doch deshalb kommen mir noch längst nicht alle Tassen in den Schrank. Bei einigen (wenigen) Klubs wehre ich mich einfach, ihre Gefäße in meine Küche zu lassen. Da gibt es beispielsweise südlich des Flüsschen Avon im Südwesten von England einen Verein, in dessen Stadion ich zwar schon mehrfach Spiele besucht habe, in dessen Fanshop ich aber niemals gewesen bin und vermutlich auch niemals gehen werde.
Auch in Guingamp gibt es einen Rivalen, doch irgendwie ist mein Verhältnis zu diesem Klub deutlich entspannter als im obigen Fall. Das mag damit zusammenhängen, dass mich mit der Stadt Brest einige persönliche Erinnerungen verbinden, denn unweit von Brest habe ich einst einen Sommer lang gearbeitet und mich dabei in die Bretagne verliebt. Brest, diese wahrlich nicht als hübsch zu bezeichnende Stadt am Meer, hat da seinerzeit mit ihrem rauen aber zugleich herzlichen Charme durchaus beigetragen. Und anders als im Fall Bristol stehe ich bei der Rivalität Guingamp/Brest auch desöfteren auf der Seite des Siegers, was die Akzeptanz offenbar erleichtert. Nicht vergessen will ich zudem, dass einer meiner Radfahrträume mit Brest verbunden ist – der Radmarathon Paris-Brest-Paris, den ich irgendwann in den nächsten Jahren einmal mitfahren möchte.
Stade Brest hat eine wilde und turbulente jüngere Vergangenheit hinter sich. Gegründet 1950, als sich mehrere Vereine zu Stade Brestois zusammenschlossen, erreichte man 1970 erstmals die 2. Liga und 1979/80 schließlich auch das französische Fußball-Oberhaus. Die Marinestadt war seinerzeit eine brodelnde Fußballhochburg. Federführend agierte mit Präsident François Yvinec ein Mann, der sich als Großbäcker eine goldene Nase verdient hatte. 1980 gleich wieder abgestiegen, lief es für die Brestois nach ihrer Rückkehr ab 1981 prächtig, etablierte sich die u.a. mit den WM-Teilnehmern Julio Cesar (Brasilien) und Sergio Goycoechea (Argentinien) verstärkte Elf um das lokale Ausnahmetalent Paul Le Guen in der höchsten Spielklasse. Unterdessen entdeckte man seine bretonischen Wurzeln, wurde aus Stade Brest „Brest Armorique“ (nach „Armorika“, der keltischen Bezeichnung für die Bretagne), fielen die Besucherzahlen im Stade Francis Le Blé für französische Verhältnisse exorbitant hoch aus.
Doch der Erfolg war auf Pump gebaut. Im Dezember 1991 kam es zum Finanzcrash, und der eilig gegründete Nachfolgeverein Stade Brestois musste von ganz unten beginnen. Dass dabei ausgerechnet Guingamps Präsident Le Graët als Vorsitzender des Ligaverbandes eine Schlüsselrolle einnahm, schuf in Brest bis heute anhaltende tiefe Abneigung gegenüber dem aufstrebenden Provinzklub aus dem Nachbardepartement. Als Stade Brest 2004 u.a. mit dem jungen Franck Ribéry im Team in die 2. Liga zurückkehrte, herrschte bei den Derbys prompt ein normalerweise bei einem Fußballspiel in der Bretagne eher seltener Ausnahmezustand.
Während meine Guingampais in die Krise gerieten und sogar für ein Jahr in der National auflaufen mussten, erwachte der schlafende Riese Stade Brest und feierte 2010 unter Trainer Alex Dupont die Rückkehr ins Oberhaus. Wieder stand die 155.000-Einwohnerstadt Kopf, drängelten sich die Fans ins inzwischen allerdings ziemlich rückständige und marode Stade Francis Le Blé. 2012/13 brach die Euphorie schlagartig zusammen. Vorstandskrisen, finanzielle Probleme, sportlicher Niedergang – am Saisonende war Stade Brest zurück in Ligue 2 und kämpft dort aktuell erneut gegen den Abstieg. Für den Moment sind die Hierarchien in der Nordwestbretagne also in meinem Sinne geregelt – und auch deshalb hat Stade Brest einen festen Platz in meiner Tassensammlung.
Ach, und falls das noch jemand wissen möchte: der Leuchtturm auf der Tasse ist der Phare de Brest in der gleichnamigen wunderschönen Bucht.
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