In der Reihe "Legendäre Fußballvereine" geht es heute in die hessische Provinz.
Buchonia Flieden machte nicht nur durch seinen ungewöhnlichen Namen Schlagzeilen.
Der Artikel stammt aus meinem Buch "Legendäre Fußballvereine Hessen" (http://www.hardy-gruene.de/buecher/legendaere_vereine.htm)
Buchonia Flieden: Ein gemütliches Königreich
Jedem sein „Königreich“? Ja, zumindest wenn es nach dem SV Buchonia Flieden geht, der seine Gegner aus besonderem Anlass (Topspiel, Flutlicht) nicht auf der eigentlichen Heimstatt am Vereinsheim, sondern im „Königreichstadion“ empfängt. Die Herkunft des Namens liegt übrigens im Dunkeln – die Gemeinde ist auch als „Königreich Flieden“ bekannt und trägt in ihrem Wappen eine Krone…
Auch ansonsten ist man im Fliedener Land etwas eigen. Die seit Jahrhunderten von der Landwirtschaft dominierte Region strotzt nur so vor lokalen Besonderheiten und überzeugt mit unschlagbarer Gemütlichkeit. Rund zwanzig Kilometer südlich der Kreisstadt Fulda geht es eben gelassen zu, was selbst für jene Stunden gilt, in denen König Fußball seine Aufwartung macht. Natürlich ist man in Flieden stolz, gegenwärtig in der Oberliga Teams wie Darmstadt 98, FSV Frankfurt und Hessen Kassel empfangen zu können. Doch wenn die Buchonia mal verliert, bricht die Welt auch nicht gleich zusammen…
Der ungewöhnliche Vereinsname (er leitet sich von dem zwischen Rhön, Vogelsberg und Spessart gelegenen Landstrich „Buchenwald“ ab) reicht zurück bis zum 20. Januar 1912, als der SV Buchonia im Gasthaus „Zum Hasen“ ins Leben gerufen wurde. Nach vielen Jahren auf Kreisebene rückten Fliedens Balltreter 1948 mit dem Sprung in die Bezirksklasse erstmals ins Blickfeld und eröffneten 1955 das Stadion „Am Weiher“, aus dem später das „Königreichstadion“ wurde. Damals wie heute zeichneten sich die Blau-Weißen durch gelassene und verlässliche Arbeit aus, die ihnen zu einem bescheidenen Dasein auf Bezirksebene verhalf. Seinen größten Erfolg feierte man 1972, als es im Entscheidungsspiel um den Aufstieg in die Gruppenliga eine 0:1-Niederlage gegen Petersberg gab.
Die gegenwärtige Erfolgsepoche hat ihren Ursprung in der Spielzeit 1977/78, als unter Trainer Lothar Klimek überraschend der Aufstieg in die Landesliga Nord gelang. Vor rund 2 500 Zuschauern öffnete seinerzeit ausgerechnet Hermann Bock, um dessen Spielberechtigung es anschließend viel Ärger gab, mit dem Tor des Tages zum 1:0 bei Germania Fulda die Landesligapforte. Seitdem sind die Buchonen aus dem hochklassigen Amateurfußball Hessens nicht mehr wegzudenken. Im Aufstiegsjahr 1978/79 reichte es immerhin zu Platz fünf, in der Folgesaison stellte man mit Karl-Heinz Bunzenthal den Torschützenkönig (32 Treffer) und drang via Rot-Weiß Frankfurt und Egelsbach ins Finale um den Hessenpokal vor. Jenes endete zwar mit einer 0:2-Niederlage gegen den RSV Würges, doch auch als Verlierer durfte Flieden auf Bundesebene auflaufen und empfing am 30. August 1980 den Zweitligisten ESV Ingolstadt. Vor 2 500 Fans hatten die Halbprofis aus Bayern trotz des zwischenzeitlichen 1:1 durch Manfred Hüttl am Ende mit 3:1 die Nase vorn.
1979/80 vermochten die Königreichkicker dann erstmals Borussia Fulda hinter sich zu lassen und engagierten zur Saison 1981/82 mit Theo Diegelmann einen Trainer, unter dem sie mit Platz vier endgültig zu einem verlässlichen und grundsoliden Landesligisten avancierten. Saison für Saison fand man sich im gesicherten Mittelfeld wieder und war mit sich und der Welt zufrieden.
Personell gespeist wurde das Team vor allem aus dem aufstrebenden Buchonia-Nachwuchs. 1988 gewannen die Junioren um Dirk Odenwald, Matthias Leidschuh und Oliver Hopp den Hessenpokal und blieben auch nach ihrem Aufrücken in den Seniorenbereich in der Erfolgsspur. 1992/93 schnupperten die Buchonen unter der Trainerschaft von Ex-Torjäger Karl-Heinz Bunzenthal erneut Höhenluft. Nach sieben Spieltagen übernahmen die Blau-Weißen sogar die Tabellenführung, gerieten dadurch aber derart aus dem Tritt, dass sie am Ende froh sein mussten, die Klasse gehalten zu haben.
1994/95 registrierte man den Tiefpunkt in achtzehn Jahren Landesliga: Mit einer drastisch verjüngten Elf um Spielertrainer Thomas Reith standen nach acht Begegnungen ganze drei Zähler auf dem Konto und es drohte der Abstieg. Dank abschließender Siege über Korbach und den FSV Kassel langte es immerhin zum vorletzten Platz und damit zur Teilnahme an der Relegation. In der bewiesen die Königreichkicker Moral, bezwangen mit nur acht Feldspielern Adler Weidenhausen (4:3) und besiegelten mit einem 2:0 über Ziegenhain doch noch den Klassenerhalt.
Zwölf Monate später staunte plötzlich ganz Hessen über Buchonia Flieden. Neutrainer Matthias Wilde (einst Borussia Fulda) hatte nach dem Abgang diverser Leistungsträger (darunter Thomas Reith) eigentlich nur das Saisonziel „Klassenerhalt“ ausgegeben und wurde, wie alle, vom „Fliedener Fußball-Wunder“ völlig überrascht. Steigbügelhalter war ein Traumstart mit acht Siegen aus neun Spielen, der die enorm heimstarken Buchonen rasch in die Spitzengruppe katapultiert hatte. Als ein 2:0 über den KSV Baunatal die Herbstmeisterschaft unter Dach und Fach brachte, kamen im „Königreich“ plötzlich Oberligaträume auf und der Spielausschussvorsitzende Peter Kreß verkündete: „Auch in Flieden wachsen die Bäume nicht in den Himmel, aber im Moment wachsen sie halt höher als woanders.“ Am 30. April 1996 durchstießen Fliedens Fußballbäume schließlich doch die Himmelsdecke. Ein schmeichelhaftes 2:2 in Kassel-Nordshausen öffnete die Oberligapforte, da die Mitbewerber Germania Fulda und Eintracht Baunatal ebenfalls Punkte abgegeben hatten.
Ganz Flieden stand nun Kopf! Die heimkehrende Aufstiegself um Torjäger Almir Sesic (16 Treffer) und Abwehrchef Christoph Schäfer wurde von der „Döngesmühler Blaskapelle“ empfangen und beim abendlichen „Tanz in den Mai“ ließ die Gemeinde ihre Helden hochleben. Zusammen träumte man von den bevorstehenden Gastspielen hessischer Größen wie Kickers Offenbach, Viktoria Aschaffenburg und FSV Frankfurt. Das Erfolgsrezept war neben einem fantastischen Zusammenhalt (Peter Kreß: „Die Mannschaft ist der Star!“) die beeindruckende Konstanz (daheim hatte man lediglich zwei Punkte abgegeben und insgesamt nur zweimal verloren) sowie der mit 26 Gegentreffern stärkste Abwehrverbund der Liga.
Das Abenteuer Oberliga geriet dennoch zum Kurztrip. 1 700 Fans waren beim ernüchternden 0:5-Auftakt gegen Wehen dabei, und schon zur Halbserie war der Klassenerhalt in weite Ferne gerückt. Auch der eilig noch verpflichtete Kameruner Hubert Mbilla vermochte die eklatante Angriffsschwäche (34 Saisontore) nicht zu beheben. Unvergessenes Highlight blieb jedoch das Gastspiel von Kickers Offenbach, dem am 10. November 1996 die Rekordkulisse von 3 500 Besuchern beiwohnte und bei dem die OFC-Fans mit dem Kultruf „Wir flieden euch alle“ den Grundstein für eine bis heute bestehende Freundschaft legten.
Als Buchonia vier Jahre später in die Oberliga zurückkehrte, war viel Wasser die Fliede hinabgeflossen. 1998 hatte mit Stephan Walter ein engagierter Coach die Führung übernommen, unter dem man bereits 1999/00 von der Rückkehr hatte träumen dürfen. Nach einem von 1100 Fans betrauerten 0:1 gegen Erzhausen waren die Hoffnungen in der Relegation geplatzt. Das darauf folgende Spieljahr aber avancierte zum Triumphzug für das Team um den schussgewaltigen Kapitän Stefan Schmidt. Trainer Walter hatte das vorgegebene Konzept, mit jungen und hungrigen Spielern aus der Region zu arbeiten, erfolgreich umgesetzt und eine bodenständige Mannschaft „ohne Stars“ geschaffen. Zum Auftakt war Oberligaabsteiger und Staffelfavorit SVA Bad Hersfeld auf dessen Platz sensationell mit 3:1 bezwungen worden (»Fuldaer Zeitung«: „Ein Feuerwerk der Buchonen“) und nach einem 3:2 beim VfL Kassel (inklusive 0:2-Pausenrückstand) hatten die Blau-Weißen eine Siegesserie gestartet, die auf Dauer selbst Trainer Walter „unheimlich“ geworden war. Am 13. Mai 2001 öffnete ein 2:0-Heimerfolg über den FSV Kassel bereits drei Spieltage vor Serienende die Oberligapforten – das „Königreich“ ertrank im Jubel!
Seitdem zählt Buchonia Flieden zum festen Bestand des hessischen Oberhauses und darf sich seit dem Niedergang von Nachbar Borussia Fulda sogar stolz „Nummer eins im Bezirk Fulda“ nennen. Im Aufstiegsjahr 2001/02 belegten die Fliedener mit oberligaerfahrenen Verstärkungen wie Christoph Wirth und Robert Lazarevski Rang 15, feierten 2002/03 gemeinsam mit 3 300 Fans im Königreichstadion ein epochales 2:1 über Regionalligaabsteiger Borussia Fulda und erreichten mit Platz sieben die bis dahin beste Position der Vereinsgeschichte.
Trotz des Abgangs von Erfolgscoach Walter, für den 2004/05 Fuldas Aufstiegstrainer Jörg Meinhardt kam, blickt man in Flieden optimistisch in die Zukunft. Die seit mehr als drei Jahrzehnten amtierende Vereinsführung um den Vorsitzenden Winfried Happ und Abteilungsleiter Werner Koch bürgt für einzigartige Seriosität und Kontinuität. Der Sponsorenpool weist mit „Rhönsprudel“ sowie der Metzgerei Robert Müller zwei Zugpferde auf, die Politik, vor allem auf hungrige Spieler aus der Umgebung zu setzen, hat sich in vielerlei Hinsicht ausgezahlt und der Zuschauerzuspruch ist für hessische Verhältnisse durchaus ansehnlich. Zwar erklärte Buchonia-Boss Happ im März 2005 anlässlich der Vertragsverlängerung von Trainer Meinhardt, man sei „wirtschaftlich am Limit“ – gab aber dennoch das Ziel „oberes Oberliga-Drittel“ aus. Jenes wurde mit Platz vier souverän erreicht, obwohl mit Torjäger Sascha Gies sowie Florian Goll zwei wichtige Akteure zur Winterpause nach Offenbach gegangen waren.
Keine Frage: Im Königreich Flieden feiern „König Fußball“ und „Prinzessin Buchonia“ eine harmonische Gemeinschaft!
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