Dienstag, 4. Februar 2014

Alle Tassen im Schrank? Hertha BSC Berlin


Als ich am Freitag an dieser Stelle (www.facebook.com/hardygruene) einen kleinen Vergleich zwischen dem MSV Duisburg und RB Leipzig postete, wies ein Leser auf den Umstand hin, dass Anhänger „guter“ Traditionsvereine gerne gegen den „modernen Fußball“ wettern würden, obwohl auch bei ihren Klubs in der Sponsorenlandschaft mitunter längst nicht alles Gold ist, was glänzt. Am selben Tage hatte nämlich der US-amerikanische Finanzinvestor KKR verkündet, 9,7 Prozent der Anteile von Hertha BSC Berlin zu erwerben und insgesamt 61,2 Mio. Euro in das Berliner Fußballunternehmen zu investieren. Damit sollen Herthas Schulden in Höhe von 36,8 Mio. (Stand Ende 2012/13) beglichen werden. Außerdem will die Hertha BSC GmbH & Co KGaA die einst aus Geldmangel veräußerten Marketing-, TV- und Catering-Rechte zurückerwerben.

Ich finde die Frage interessant, ob es einen Unterschied macht, wenn sich ein Investor in einem Traditionsverein engagiert oder in einem der sogenannten „Retortenvereine“. Sorgt die üppigere Historie womöglich für eine höhere Akzeptanz? Darf Schalke für Gazprom werben, weil es Schalke ist? Darf sich Hertha mit einer Private-Equity-Firma verbinden, die von seriösen Wissenschaftlern zu jenen „Heuschrecken“ gezählt werden, deren Wirken in der Wirtschaft häufig so fatale Folgen haben? „Das ist keine Liebhaberei für KKR, die sind keine Fußballfans – die wollen Geld verdienen“, glaubt besagter Wissenschafter (Professor Voth, Uni Zürich) und sieht einerseits erheblichen Einfluss seitens des Investors auf die Hertha zukommen und betrachtet das Engagement bei den Berliner andererseits als „Testballon“: „Die wollen sich bei Hertha vermutlich nur warmlaufen für das richtig große Geschäft. Die halten mal den Fuß ins Wasser. Dafür mischen sie ein bisschen Geld rein.“ (alle Zitate aus der Süddeutschen von gestern, der Artikel „Trainingslager für Heuschrecken“ ist leider nicht online verfügbar.)

Nun ist es natürlich unfair der Hertha und ihren Anhängern gegenüber, sie in der „Tassen-Like-Liga powered by Hardy Grüne“ mit so einem provokanten Thema starten zu lassen. Ich will daher auch gleich den Blick aus der Gegenwart nehmen und ihn auf einen Klub richten, der Berlin immer wieder fasziniert und bewegt hat – und das gilt nun wiederum in allen vorstellbaren Dimensionen. Dass die Hertha vor rund 30 Jahren in der damals noch rein Westberliner Oberliga kickte und auf Gegner wie TSV Rudow oder Traber FC Mariendorf traf, scheint heute nahezu unvorstellbar zu sein. Doch damals stand Berlins Spitzenfußball kurz vor einem Führungswechsel, denn während die Hertha in der auf die eingemauerten/-zäunten Stadtgrenzen beschränkten Drittklassigkeit kickte, begeisterte Newcomer SpVgg Blau-Weiß 90 in der Bundesliga mit frischem Fußball. Gesponsert übrigens von einem „Investor“ aus dem Süden der Republik – so „modern“ ist der „Moderne Fußball“ manchmal gar nicht.

Berlin verbindet eine Hassliebe mit der Hertha, und ich will mich an dieser Stelle gar nicht weiter zu diesem Thema äußern, denn wie ich meine kommentarfreudige Berliner Leserschaft kenne, werden die entsprechenden erheiternden bis erhellenden Beiträge im Laufe des Tages an dieser Stelle eintreffen.

Was die Hertha zweifelsohne ist, ist Berlins mit Abstand erfolgreichster Fußballverein (klammern wir den BFC Dynamo bitte mal aus). Die späten 1920er Jahre mit dem unvergleichlichen Hanne Sobek, der 1930, als gegen Holstein Kiel die fünfte Finalniederlage in Folge drohte, das Endspiel quasi im Alleingang in einen 5:4-Sieg verwandelte. Ein Jahr später dann gegen 1860 bereits Titelgewinn Nummer zwei, doch diesmal war die Hertha im Glück, denn Schiedsrichter Fissenewert war seinerzeit sicherlich alles, aber ganz bestimmt kein Löwen-Fan. Seitdem wartet man in Berlin auf Titel Nummer drei, der zuletzt 2008/09 in greifbare Nähe rückte. Wenig später musste Erfolgscoach Lucien Favre gehen und es begannen jene Fahrstuhljahre, von denen man in Berlin hofft, dass sie nun endlich vorbei sind. Auch dabei soll der neue Investor KKR helfen.

Meine persönlichen Verbindungen zur Hertha sind geprägt von den Duellen meiner 05er mit den Berlinern. Stets ein Duell „David gegen Goliath“, und aus Göttinger Sicht gerne mal mit einer gewissen Tragik ausgestattet. Erstes Beispiel: Aufstiegsrunde zur Bundesliga 1968. 05 ist mit einem 3:0 über die Fritz-Walter-Elf SV Alsenborn gestartet und hat sich in einen regelrechten Rausch gespielt. Göttingen träumt von der Bundesliga, als die Reise zur Hertha geht. An einem Mittwochabend. Während Berlins Profispieler das egal ist, müssen die Göttinger Halbamateure „nebenbei“ in „normalen“ Jobs arbeiten und werden erst am Spieltag in die Metropole an der Spree kutschiert. Wo sagenhafte 80.000 Fans warten. Darunter eine kleine Abordnung Göttinger, von denen ich viele Jahre später mal einige interviewen konnte und ein schönes Stimmungsbild vom Dasein eines Fußballfans aus der Provinz Ende der 60er erhielt. 05 spielte großartig und verteidigte mit stets am Rande des Erlaubten angesiedelten Mitteln, hielt 88 Minuten ein 0:0, kassierte dann das Tor des Tages und konnte sich den Bundesligaaufstieg abschminken. Es war das letzte Mal, dass Göttingen ernsthaft von der Bundesliga träumen durfte.

Ich selber reiste 1980/81 erstmals mit den Schwarz-Gelben zum damaligen Zweitbundesligaspiel nach Berlin, und eigentümlicherweise war es erneut ein Mittwochabendspiel. Unvergessen ist mir die Anreise vom Bahnhof Zoo hinaus zum Olympiastadion, als wir Handvoll Göttinger in der U-Bahn umzingelt waren von den damals gefürchteten „Fröschen“ und nervös nach unseren schwarz-gelben Schals tasteten, damit sie ja nicht aus der Jackentasche lugten. Wir waren chancenlos und verloren 0:4. Und dann natürlich das Pokaljahr 1984, als 05 zunächst die Frankfurter Eintracht aus dem Wettbewerb geworfen hatte und anschließend über die SpVgg Neu-Isenburg in die Runde der letzten 16 eingezogen war. Gegner dort: Hertha BSC. Am Spieltag goss es in Strömen, und ausgerechnet Heinz-Peter Meyn, mein damaliger Lieblingsspieler und 05-Keeper, unterlief ein Fehler zum Tor des Tages. Es war das letzte Mal, dass 05 im DFB-Pokal so weit kam.

Zu einem Pokal- oder gar Ligaspiel zwischen Hertha BSC und Göttingen 05 wird es vermutlich nie wieder kommen. Das wiederum hat nur zum Teil mit dem neuen Investor aus den USA zu tun...

1 Kommentar:

  1. Sich auf diese Weise von Schulden zu befreien ist doch schön. Glücklich ist auch der Geschäftsführer.
    Hertha-Geschäftsführer Michael Preetz bezeichnete die Vereinbarung als „einen Quantensprung für die wirtschaftliche Seite unseres Vereins“. Finanzchef Ingo Schiller äußerte sich sogar noch euphorischer: „Heute ist der schönste Tag, seit ich bei Hertha BSC in der Verantwortung stehe“, ließ er sich in einer Mitteilung zitieren. [Quelle: http://www.finance-magazin.de/strategie-effizienz/ma/ma-deals-sulzer-aleo-solar-hertha-bsc/ ]
    Warum auch nicht?
    Gruß,
    W.

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