Am 22. Juni jährt sich zum 70. Mal der Tag des Endspiels um die Deutsche Fußballmeisterschaft 1941. Damals schlug Rapid Wien Schalke 04 nach 0:3-Rückstand noch mit 4:3. Um das Spiel kursieren bis heute eine Menge Gerüchte und Legenden. In Wien findet am Mittwoch, den 22. Juni 2011 eine ganztätige Tagung zum Thema Fußball im Nationalsozialistmus statt, bei dem es auch um das 1941er Endspiel geht. Ich werde dabei über die Position des FC Schalke 04 referieren. Details über die Tagung finden sich hier: http://www.ballesterer.at/?art_id=1642
Nachstehend der Bericht über das Endspiel 1941 aus meinem Buch "Glaube, Liebe, Schalke":
„Meisterschaft wie im Frieden“, jubelt das vor dem Berliner Olympiastadion verteilte Informationsblättchen vor dem Finale um die Deutsche Fußballmeisterschaft 1941. Doch das war Augenwischerei und ein durchsichtiger Versuch, das längst kriegsmüde Volk zu beruhigen. Von einem „friedlichen Alltag“ konnte keine Rede sein. Auch im Fußball nicht. Statt dessen häuften sich die Meldungen von „gefallenen“ Fußballern, stellten sich erste Versorgungsengpässe ein, liefen viele Schalker Soldaten statt in Gelsenkirchen anderswo auf.
Als wenige Stunden vor dem Anpfiff des mit Spannung erwarteten Endspiels zwischen Schalke und Rapid Wien über den inzwischen in fast jedem Haushalt stehende Volksempfänger auch noch jubelnd verkündet wird, dass die Wehrmacht die Grenze zur Sowjetunion überschritten habe, erreicht der Krieg eine neue Dimension. Kurzzeitig gerät sogar die Finalpartie in Gefahr, denn aus Furcht vor einem sowjetischen Vergeltungsschlag wird über eine Verlegung der Begegnung nachgedacht. Doch die von dem Militärschlag überraschten Sowjets regen sich nicht, und so strömen wenige Stunden später 95.000 Zuschauer bei tropischer Hitze von rund 40 Grad Celsius ins Olympiastadion und vergessen für einen Moment den Krieg.
Wie immer ist Schalke Favorit, wenngleich Rapid eine respektable Mannschaft aufbietet, aus der mit Franz Binder ein gefeierter Nationalstürmer herausragt. „Wir werden Wiens Fußballehre wieder herstellen“, kündigt Binder mit Verweis auf Admiras 0:9-Debakel zwei Jahre zuvor an.
Doch davon ist zunächst nichts zu sehen. Nach sechs Minuten bringt Heinz Hinz den Favoriten in Führung, und als Hermann Eppenhoff nur 120 Sekunden später auf 2:0 erhöht, scheint bereits eine Vorentscheidung gefallen zu sein. Nachdem Binder vier Minuten vor dem Seitenwechsel auch noch einen umstrittenen Strafstoß neben das Tor gesetzt hat, geht es mit 2:0 in die Pause. Auf den Rängen schwanken die Voraussagen zwischen 4:0 und 7:1, gibt niemand mehr auch nur einen Pfifferling auf die bislang schwache Rapid-Elf.
Exakt eine Stunde ist gespielt, als Linksaußen Hinz auf 3:0 erhöht. Doch die scheinbare Entscheidung weckt plötzlich neue Kräfte in den Wiener „Kaffeehausfußballern“, die nun sämtliche taktischen Raffinessen beiseite legen und mit hochgekrempelten Ärmeln die berühmte und gefürchtete „Rapid-Viertelstunde“ einläuten. Als Schors 120 Sekunden später einen Fehler von Rudi Gellesch zum 3:1-Anschlusstreffer nutzt, beginnen die spektakulärsten sechs Minuten in der Geschichte der deutschen Fußballendspiele.
Burdenski hat gerade das 4:1 verpasst, als Franz Binder im Gegenzug nach einem Tibulski-Foul an ihm selbst aus 18 Metern per Freistoß zum 3:2 trifft. Plötzlich ist Schalke nervös, während die Wiener endgültig Morgenluft wittern. 60 Sekunden später brennt es erneut im Schalker Strafraum. Gellesch bringt Georg Schors zu Fall, und diesmal entscheidet Schiedsrichter Reinhardt zu Recht auf Strafstoß. Binder hämmert den Ball zum Ausgleich ins Schalker Netz – binnen drei Minuten hat der Titelverteidiger seinen 3:0-Vorsprung verspielt!
Doch es kommt noch schlimmer für die Königsblauen, die kein Mittel mehr gegen den Wiener Angriffswirbel finden. Eppenhoff ist mit einem Entlastungsangriff gerade an Rapid-Keeper Raftl gescheitert, als der Ball über Gernhardt, Skoumal und Schors zu Willy Fitz kommt, der 25 Meter vor dem Tor von „Ötte“ Tibulski zu Fall gebracht wird. Freistoß. Als Franz Binder anläuft, wird es sekundenlang mucksmäuschenstill im Olympiastadion, ehe das Leder zum Entsetzen der Schalke-Fans im linken oberen Winkel landet. Rapid, das sechs Minuten zuvor noch mit 0:3 in Rückstand gelegen hat, geht mit 4:3 in Führung!
Der anschließende offene Schlagabtausch bringt einen Lattentreffer für Wien, einen Pfostentreffer für Schalke und eine aufregende Szene, als Kuzorra im Strafraum zu Fall gebracht wird, ohne dass Schiedsrichter Reinhardt eingreift. Dann ist Rapid Wien erster Deutscher Meister, der nicht aus dem „Altreich“ stammt, und in Gelsenkirchen fragt man sich, was in diesen verrückten sechs Minuten bloß schiefgelaufen ist.
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