Nach sechs mehr als turbulenten Jahren ist der 17fache Schweizer Fußballmeister Servette Genf gestern Abend endlich in die höchste Spielklasse des Landes zurückgekehrt. Im Entscheidungsspiel stand "les granats" der AC Bellinzona gegenüber, der das Hinspiel auf eigenem Platz mit 1:0 gewonnen hatte. In Genf hingegen gewann Servette mit 3:1 und erreichte damit die Super League.
Während der italienischsprachige Teil der Schweiz damit ohne Erstligist ist, hat sich die Zahl der Romandie-Vertreter im Schweizer Oberhaus auf vier erhöht. Doch Servette ist kein gewöhnlicher Aufsteiger. Der Klub zählte über Jahrzehnte zu den führenden Vereinen der Schweiz und war (ist?) Aushängeschild der Westschweiz (zur Historie nachstehend ein Auszug aus meiner "Fußballweltenzyklopädie"). Im Februar 2005 führten anhaltende Finanzprobleme zum Konkurs der Servette AG und zur Rückstufung des Vereins Servette FC in die 3. Liga, wo er einen kompletten Neustart unternehmen musste.
Im ersten Anlauf gelang der Aufstieg in die zweithöchste Spielklasse, was gleichbedeutend mit dem ersten Aufstieg der Vereinsgeschichte war - bis dato hatte Servette ausschließlich in der höchsten Spielklasse mitgemischt.
Seit einigen Jahren wird der Verein vom finanzkräftigen iranischen Industriellen Majid Pishyar gelenkt, dessen Investment-Gruppe "Group32" u.a. für den Snowdome in den Vereinigten Arabischen Emiraten verantwortlich ist. Pishyar hat bereits angekündigt, mit Servette spätestens 2014 die Schweizer Meisterschaft zu erringen (weiterführende Infos zu Pishyar, allerdings auf Französisch, hier: http://www.lematin.ch/sports/football/majid-pishyar-ami-teheran-305894).
Nachstehend das Klubporträt aus meiner Weltfußballenzyklopädie Band 1 (Europa und Asien)
SERVETTE GENÈVE
Das Team aus der im französischsprachigen Westen gelegenen zweitgrößten Stadt des Landes ist nationaler »Experte« in Sachen Finanzturbulenzen. Gleich mehrfach sprangen »les Granats« (»Die Granatroten«) in der Vergangenheit dem Finanztod von der Schippe und mussten 2005 sogar zu einem Neustart in der 3. Liga antreten. Der 1890 von Oberschülern gegründete und im Genfer Stadtteil Servette ansässige Klub begann als Rugbyverein und errang 1907 seinen ersten Fußballtitel. Gemeinsam mit GC und YB formte er in den 1920er Jahren die »großen Drei«, wobei der englische Trainer Teddy »Ducky« Duckworth mit der Einführung von Kombinationsfußball die Erfolgsgrundlage geliefert hatte. 1924 standen gleich neun Servettiens in der von Duckworth betreuten »Nati«, die bei den Olympischen Spielen in Paris das Finale erreichte. Nach vier Meistertiteln zwischen 1921 und 1930 löste Karl Rappan den Engländer ab und führte die »Welschen« 1934 mit »Riegeltaktik« zur ersten Meisterschaft der neugegründeten NLA. Starker Mann im Hintergrund war mit Charles Kellermüller ein schillernder Versicherungsagent, der Spieler wie Mittelstürmer Raymond Passello ins 1930 eröffnete Stade des Charmillesgelockt hatte. Schon damals machte Servette mit Finanzeskapaden auf sich aufmerksam und hatte 1935 einen Schuldenberg in Höhe einer Viertelmillion Franken angehäuft. Nach dem Krieg prägten vor allem Flügelstürmer Jacques »Jacky« Fatton (mit 272 Treffern Rekordtorjäger der NLA) und Umberto Barberis die Geschicke der Servettiens, die 1961 und 1962 unter Trainer Jean Snella jeweils Landesmeister wurden. Doch die Geschicke des Klubs standen unter keinem guten Stern. Als Präsident Roger Cohannier 1980 nach sechs erfolgreichen und dennoch besucherschwachen Jahren die Brocken hinwarf (»Fußball rentiert in Genf nur dann, wenn wir an der französischen Meisterschaft teilnehmen können«) übernahmen der Immobilienhändler Carlo Lavizzari und Notar Didier Tornare die Führung, und es wurde turbulent. Trainer kamen und gingen, Weltstars wie Karl-Heinz Rummenigge, Sonny Anderson oder Christian Karembeu trugen das granatrote Trikot, doch wenigen sportlichen Erfolgen stand viel Tohuwabohu auf der Führungsetage gegenüber. Mit Unterstützung des französischen TV-Senders »Canal+« 1994 und 1999 jeweils Meister geworden, überschlugen sich die Ereignisse, als »Canal+« den Klub 2002 nach einem UEFA-Verdikt (der Sender war auch Eigner von Paris-SG) abtreten musste. Begleitet wurde dies von einem kommunalen Tohuwabohu um die umstrittene Umwandlung des Stade des Charmilles ins Stade de Genève. Im Februar 2004 übernahm der eigenwillige französische Spieleragent Marc Roger die Klubführung, heuerte Spieler aus elf Nationen an und gab das Ziel »Champions League« aus. Daraus wurde nichts, denn im Februar 2005 kam das Aus. Die »Servette Aktiengesellschaft« musste Konkurs anmelden, während der seit 1933 ununterbrochen der 1. Liga angehörende Servette FC in der Drittklassigkeit weiterkicken musste.
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