Freitag, 8. November 2013

Alle Tassen im Schrank? Hannover 96


An diesem Spiel komme ich heute einfach nicht vorbei. Das erste Erstligaderby seit dem 17. April 1976, zwei Vereine, mit denen ich mich als Fußballhistoriker schon intensiv beschäftigt habe (96: http://www.werkstatt-verlag.de/?q=node%2F61, BTSV: http://www.werkstatt-verlag.de/?q=node%2F154), dazu reichlich persönliche Erfahrungen aus diversen Duellen beider Klubs mit meinen 05ern – 96 vs. BTSV zieht auch mich heute irgendwie in seinen Bann.

Zudem ist 96 gegen BTSV ein Duell, das Erinnerungen weckt. 1996/97 war ich bei beiden Derbys in der damaligen Regionalliga Nord vor Ort und stand mitten drin in dieser ungemein verdichteten Atmosphäre, die nur ein solches Derby produzieren kann. Vor allem das Hinspiel am 30. August 1996 in Braunschweig ist mir lebhaft in Erinnerung. Zwei in die Drittklassigkeit abgestürzte Rivalen und Traditionsvereine duellierten verbissen um ihr Fortkommen und schenkten dem jeweils anderen keinen Millimeter. Ich war schon einiges gewohnt an intensiver und auch wütender Stimmung in Fußballstadien, aber dieser Freitagabend im vollgepackten Eintrachtstadion toppte alles. Nahezu jeder unter den 22.000 Zuschauern war entweder auf der einen oder auf der anderen Seite, und kaum jemand hatte für die jeweils andere Seite irgendetwas etwas anderes übrig als tiefe Abneigung oder offenen Hass. Und ich rede hier keineswegs nur von den beiden Fankurven oder gar Ultras, die es damals auf beiden Seiten ohnehin kaum gab. Ich rede hier auch von Haupttribüne und Gegengerade. Von Menschen auf Sitzplätzen zu Preisen, die sich viele nicht leisten konnten und auf denen sich viele verhielten, als gäbe es keinerlei Hemmschwellen mehr.

Ich war mitten in dieser Woge der Erregung, unfähig, mich auf die oder die andere Seite zu schlagen, da ich als 05er mit beiden Seiten wenig gute Erfahrungen gemacht hatte. Und doch war auch ich lange vor dem Anpfiff erfasst von dieser unbeschreiblichen Intensität, die sich mit dem Spielverlauf noch steigerte. Zur Erinnerung: der BTSV lag zur Halbzeit 2:0 vorne, 96 verkürzte nach einer guten Stunde und zwei Minuten vor Schluss machte Braunschweig mit dem 3:1 den Sack dann zu. Das 3:2 für 96 kam zu spät. Es war ein Spiel wie ein Rausch, und natürlich war es mit dem Schlusspfiff noch lange nicht vorbei. Und ich gebe gerne zu, dass ich mich auf dem Weg zu meinem im gegenüberliegenden Wohngebiet Schwarzer Berg geparkten Auto so unwohl wie selten gefühlt habe, denn die aggressive Stimmung war mit dem Spielende um keinen Deut abgeflaut. Das Rückspiel in Hannover war dann deutlich entspannter. Zum einen war das alte Niedersachsenstadion einfach nicht so wie das Eintracht-Stadion geeignet, einen „Hasskessel“ zu erzeugen, zum anderen war der BTSV beim 0:4 chancenlos.

Für heute Abend bin ich vor allem gespannt. Außerhalb Niedersachsens wird man im Glauben sein, Schalke vs. BVB oder Gladbach vs. Köln seien in puncto Intensität nicht zu toppen. Morgen könnte die Nation anders darüber denken. Doch so sehr ich brisante Spiele wie dieses Niedersachsenduell mag und aus eigener Erfahrung weiß, dass man sich als Fußballfan nicht immer rational verhält, so sehr hoffe ich auch, dass nach dem Schlusspfiff vor allem eine Werbung für leidenschaftliche und loyale Fankultur steht und eben nicht die unschönen Schlagzeilen dominieren. Denn auch wenn es vordergründig um 96 vs. BTSV geht - angesichts der gegenwärtigen Debatte steht auch die Frage im Raum, ob und wie Fankultur ihre eigenen Probleme und Auswüchse selbst in den Griff bekommen kann. Es liegt auch in Euren Händen, liebe Braunschweiger und Hannoveraner.

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