Freitag, 1. Oktober 2010

Legendäre Fußballvereine: VfB Schrecksbach

VfB Schrecksbach: Das erste Oberligadorf der Geschichte
Dass Fußball ein Werbeträger par excellence ist, dürfte allgemein bekannt sein. Wer beispielsweise würde von dem Örtchen Schrecksbach wissen, hätten nicht die lokalen Balltreter über viele Jahre hinweg hessische Fußballgeschichte geschrieben? Zwei Spielzeiten mischten die Blau-Weißen aus der 1 600-Einwohner-Gemeinde im Herzen der Schwalm sogar im hessischen Oberhaus mit – zuletzt 1983/84, als zwanzig Punkte allerdings nicht zur Rettung reichten.
Schrecksbachs bemerkenswert Fußball-Aushängeschild erblickte am 1. März 1921 als „Verein für Bewegungsspiele“ das Licht der Welt. Wie fast überall hatte Fußball nach dem 1. Weltkrieg auch im von Kleingewerbe geprägten Schrecksbach das Turnen verdrängt. Später entstand noch ein Arbeitersportverein, dessen blau-weiße Farben der VfB 1945 übernahm.
Nach einem Jahrzehnt auf Kreisebene geriet der an der Holzburger Straße ansässige Klub Mitte der 1950er Jahre mit dem Durchmarsch von der A-Klasse in die 2. Amateurliga erstmals in die Schlagzeilen. Seinerzeit stand mit Linksaußen Heinrich Kalbfleisch sogar ein Hessenauswahlspieler in den VfB-Reihen – viermal wurde der Schrecksbacher Linksaußen von HFV-Auswahltrainer Rudi Gellesch für Repräsentativspiele angefordert.
Zwischenzeitlich bis in die B-Klasse abgestürzt, knüpften die stets auf Nachwuchsförderung bauenden Schwälmer Ende der 196oer Jahre allmählich an alte Erfolge an. Als wenig später die Schrecksbacher A-Jugend in die hessische Leistungsklasse aufstieg, brach schließlich eine mitreißende Erfolgsära an, die vom administrativen „Drei­gestirn“ um Jugendleiter Georg Lange, Fußballfachwart Wilhelm Heipel und „Manager“ Manfred Siegordner begleitet wurde. Unter Führung von Abwehrspieler Hans-Dieter „Tango“ Diehl erreichte der VfB 1973 mit einem 3:0-Entscheidungsspielsieg über den FC Homburg sogar die Gruppenliga Nord und schloss damit zu Nachbar Tuspo Ziegenhain auf.
Die Siegesserie riss in der vierten Liga keineswegs ab. Platz neun im Aufstiegsjahr war garniert mit allseits bestaunten Siegen über die Kasseler Spitzenklubs BC Sport (4:1), Hermannia (2:0) sowie VfL (2:0) und wurde in der Spielzeit 1974/75 völlig unerwartet von der Vizemeisterschaft gekrönt. Der VfB hatte sogar Pech gehabt – obwohl gegen Titelrivale Hermannia Kassel nur ein Punkt abgegeben worden war (1:0 in Schrecksbach, 1:1 in Kassel), lagen die Nordstädter in der Schlussabrechnung vorn.
Als nach Saisonende neben dem zum KSV Hessen wechselnden Günter Schaub mit Hans-Dieter Diehl erstmals ein Kicker der Schwalm von einem Bundesligisten unter Vertrag genommen wurde (1. FC Kaiserslautern), mussten an der Holzburger Straße vorübergehend kleinere Brötchen gebacken werden. Erst nach Einweihung des neu erbauten Metzenbergstadions gewann der Aufschwung ab 1976/77 wieder an Fahrt. In einem packenden Titelrennen mit Nachbar Tuspo Ziegenhain behielt die mit Ausnahme von Siebold, Götz, Ernst und Weber ausschließlich aus Einheimischen bestehende Elf die Nase vorn und feierte mit dem Aufstieg in die Hessenliga den bis dahin größten Erfolg der Vereinsgeschichte. Dass die Aufstiegsprämie in Höhe von 1 000 DM in vier Raten bezahlt werden musste, verdeutlich, wie überraschend der Klassensprung selbst für die Schrecksbacher Führungsriege gekommen war…
Im hessischen Oberhaus agierte die laut »Hessen-Fußball« „erste Dorfelf in der Oberligageschichte“ um Heinz und Walther Kalbfleisch unglücklich. In fünfzehn Begegnungen blieb man ohne eigenen Torerfolg – trotz stabiler Abwehr (56 Gegentore) war der direkte Abstieg damit natürlich nicht zu verhindern. Selbst ein Trainerwechsel half nicht – Ex-Jugendleiter und Aufstiegscoach Erich Lange musste im November 1977 nach dreizehn Jahren in VfB-Diensten gehen und wurde durch Ex-FCN-Keeper Theo Diegelmann ersetzt. „Wir haben in der Euphorie des Aufstiegs unsere Leistungsfähigkeit überschätzt“, analysierte Manager Siegordner anschließend traurig. In Erinnerung blieben vor allem ein spektakuläres 3:4 im Kasseler Auestadion, sowie der für eine 1 600-Einwohner-Gemeinde sen­sationelle Zuschauerzuspruch von rund 2 000 Zahlenden pro Spiel!
1980/81 durfte man im „Oberligadorf“ erstmals an die Rückkehr in Hessens gute Stube denken. Punktgleich mit Hessen Hersfeld sowie Hermannia Kassel einlaufend, fehlte den Blau-Weißen in der Entscheidungsrunde lediglich ein Tor zum Klassensprung. Zwölf Monate später wiederholte sich das Schicksal. Erst im 23. Spiel kassierte der VfB um Rückkehrer „Tango“ Diehl seine erste Saisonniederlage (0:2 beim CSC 03 Kassel), belegte am Ende punktgleich mit den Kasseler Rothosen Rang eins – und verlor das fällige Entscheidungsspiel auf der Hersfelder Oberau unglücklich im Elfmeterschießen.
1982/83 klappte es im dritten Anlauf schließlich. Frühzeitig zogen die seit Saisonbeginn vom Marburger Realschullehrer Wolfgang Törner trainierten Schrecksbacher der Konkurrenz davon und standen lange vor Saisonende als Meister und Aufsteiger fest. Die Erfolgself hatte ihre Stärken vor allem in der Abwehr, wo neben dem angehenden Doktor Reinhold Schwalm mit Außenverteidiger Dieter Flach und Torhüter Klaus Leuthe zwei feste Größen wirkten. Trotz wohlwollender Unterstützung durch Mäzen Herzner war auch der zweite Ausflug ins hessische Oberhaus jedoch nicht von Dauer, zumal es auf der Schrecksbacher Trainerbank tüchtige Turbulenzen gab. Aufstiegscoach Törner hatte sein Amt aus beruflichen Gründen an Gyula Toth übergeben, der schon bald durch Ex-Bundesligatorhüter Rolf Birkhölzer ersetzt wurde. Immerhin vermochte man seinen Ruf als Zuschauerhochburg zu pflegen und erreichte den für hessische Verhältnisse bemerkenswerten Schnitt von 715 Zahlenden. Zurück in der Landesliga stand eine Zäsur an. Elf Spieler verließen das Metzenbergstadion, wo das Trainerduo Diehl/Törner vor einer schwierigen Aufgabe stand, zumal auch Manager Siegordner im Abstiegsjahr das Handtuch geworfen hatte. Zwar konnte der prognostizierte Absturz dank kontinuierlich nachströmender Talente zunächst vermieden werden, 1985/86 aber kam jede Hilfe zu spät. Erstmals seit dreizehn Jahren war der VfB nicht mehr in einem der beiden hessischen Amateuroberhäusern vertreten.
Mit Routinier Hans-Dieter Diehl, Walther Kalbfleisch und Manfred Krüger verabschiedeten sich daraufhin gleich drei Leistungsträger, woraufhin es 1988 mit einer ebenso jungen wie unerfahrenen Mannschaft in die A-Klasse ging. Es folgte ein ständiges Auf und Ab, ehe 1994 eine neue Erfolgsepoche einsetzte. Manager Manfred Siegordner war zurückgekehrt, mit dem Mengsberger Gerd Honig stand ein erfahrener Oberligaspieler an der Seitenlinie und schon 1995 gelang die Rückkehr in die Bezirksoberliga. Just zum 75. Geburtstag wurde der Aufschwung 1995/96 mit dem Durchmarsch in die Landesliga abgeschlossen.
Dort setzte jedoch bald Ernüchterung ein. Mit ganzen vier Siegen, sechzehn Auswärtsniederlagen und 116 Gegentoren kam der VfB nicht über den letzten Platz hinaus und geriet zu allem Übel in den immer größer werdenden Schatten des Regionalligisten SC Neukirchen, der längst zur Nummer eins im Schwälmer Land aufgestiegen war.

Dieser Artikel stammt aus dem Buch "Legendäre Fußballvereine Hessen" AGON Sportverlag, Kassel, ISBN: 3-89784-244-0. In dem Buch werden 301 Fußballvereine aus Hessen porträtiert.

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