Aus der Serie "Vergessene Traditionsklub" des Berliner Fachblattes "Fuwo" nachstehend mein Beitrag über Stade Reims
Stade Reims
Tiefer abgestürzt ist keiner der ehemaligen Spitzenklubs in Europa: Stade Reims, 1956 und 1959 jeweils im Endspiel um den Europapokal der Landesmeister (heute Champions League) gegen das königliche Real Madrid unterlegen, musste in den 1990er Jahren bisweilen in der sechsten Liga auflaufen und hauchte gleich zweimal sein Leben aus.
Umso erfreulicher, dass den Rot-Weißen aus der Champagnerhochburg im Nordosten Frankreichs 2010 die Rückkehr in die 2. Liga gelang. Und Anlass für die inzwischen wieder üppige Fangemeinde des Traditionsklubs, optimistischer in die Zukunft zu schauen, zumal man mit seinem modernisierten Stade Auguste Delaune durchaus von höheren Zielen träumen darf.
Die erfolgreichste Epoche der “Rouge et Blanc“ (Rot-Weißen) trägt in Frankreich das Label „le grand Reims“ und spielte sich nach dem Zweiten Weltkrieg ab. 1931 aus einer seit 20 Jahren bestehenden Betriebsmannschaft der berühmte Sektkellerei Pommery & Greno gegründet, war der Klub schon vor dem Krieg systematisch in ein Spitzenteam verwandelt worden. Auf wen der Erfolg zurückging, war klar ersichtlich, denn das damalige Klubwappen krönte eine Sektflasche. Federführend waren mit Victor Canard und Henri Germain zwei Funktionäre mit Visionen und Beziehungen. Vor allem Germain kam eine Schlüsselrolle in der Erfolgsstory der Rêmois zu. Der ehemalige Rugbyspieler arbeitete für Champagnerhersteller Pommery & Greno, zog nebenbei im regionalen Fußballverband als Funktionär erfolgreich Strippen und schuf in Reims professionelle Verhältnisse.
Nach dem Krieg kam der Erfolgsexpress allmählich in Fahrt. 1949 holte die Elf um die Sinibaldi-Brüder Pierre und Paul sowie die Nationalspieler Jonquet und Marche erstmals die Landesmeisterschaft und ein Jahr später auch den Pokal nach Reims. Als Klubchef Germain 1951 den erst 31-jährigen Nationalstürmer Albert Batteux überredete, den Posten des scheidenden Trainers Henri Roessler zu übernehmen, nahm der Aufschwung an Tempo zu. „Monsieur Albert“, wie Batteux bald landesweit genannt wurde, kreierte einen attraktiven Offensivstil, der bis heute das Label „Champagner-Fußball“ trägt.
Zudem hatte Batteux einen vorzüglichen Riecher für Fußballtalente. 1951 lockte er den polnischstämmigen Raymond Kopa vom SCO Angers in die Champagne, mit dem Stade Reims 1953 erneut Meister wurde und zudem den seinerzeit populären Latin Cup gewann. Nachdem Reims 1955 abermals Landesmeister geworden war, übernahm Erfolgstrainer Batteux in Personalunion auch den Job des französischen Nationaltrainers, womit das Herz des französischen Fußballs vollends in der Kleinstadt im Herzen der Champagne schlug.
Mit dem im selben Jahr eingeführten Europapokal der Landesmeister hatte der Klub längst ein neues Ziel: Stade Reims wollte König von Europa werden. Und schon im ersten Jahr gelang den Rêmois über Aarhus, Vörös Lobogo Budapest und Hibernian Edinburgh der Einzug ins Finale, das nach neunzig packenden Minuten jedoch mit einem 4:3-Sieg für Real Madrid und dem anschließenden Wechsel von Superstar Kopa zu den Königlichen endete.
Kopas Verlust, eigentlich nicht zu verschmerzen, konnte Batteux sofort durch einen aus Nizza gekommenen Franzosen marokkanischer Herkunft ersetzen: Just Fontaine. Nachdem in den Folgejahren mit Jean Vincent, Roger Piantoni und Dominique Colonna drei weitere Ausnahmefußballer ins Stade Auguste Delaune gekommen waren, feierte man 1958 zum vierten Mal die Landesmeisterschaft und damit die Rückkehr in den Europapokal der Landesmeister.
Die Batteux-Elf um den hoch geschätzten Zentralverteidiger Robert Jonquet war nun auf dem Gipfel ihres Könnens angekommen. Als Frankreich im selben Sommer bei der WM in Schweden mit erfrischendem Offensivfußball Dritter wurde, standen gleich sechs Rêmois im Kader der Equipe Tricolore - darunter der mit 13 Treffern ewige WM-Torschützenkönig Just Fontaine. Insgesamt stellte Stade Reims seinerzeit in nur 19 Jahren 25 Nationalspieler mit 372 Länderspielen.
Über den nordirischen Ards FC, Finnlands Meister HPS Helsinki, Standard Lüttich aus Belgien sowie die Young Boys aus Bern drangen die Rot-Weißen 1958/59 abermals ins Finale des europäischen Landesmeisterwettbewerb vor. Doch vor 75.000 Zuschauern im Stuttgarter Neckarstadion hatten die Franzosen Pech. Erneut war Real Madrid der Gegner (diesmal mit dem Ex-Rêmois Kopa), und erneut hatten die seinerzeit fast unschlagbaren Königlichen die Nase vor.
Anschließend neigte sich die Ära von „le grand Reims“ allmählich ihrem Ende zu. Zunächst konnte der Klub 1959 mit finanzieller Unterstützung eines französischen Fruchtsafthersteller aber noch Raymond Kopa aus Madrid zurückholen, mit dem er 1960 und 1962 zwei weitere Male Landesmeister wurde. Zwischenzeitlich endete allerdings Just Fontaines Karriere 1961 durch einen komplizierten Beinbruch, ehe 1963 der Vertrag von Erfolgscoach Batteux nicht verlängert wurde. Ein fataler Fehler, denn während Batteux in Saint-Etienne eine neue Erfolgself aufbaute, stürzte Stade Reims unter seinem Nachfolger Camille Cottin völlig ab.
Nachdem sämtliche Leistungsträger den Verein verlassen hatten, landete der Klub 1964 sogar in der 2. Liga und wurde zur Fahrstuhlmannschaft. 1966 hörte mit Präsident Henri Germain auch der letzte Vertreter der Erfolgsära auf. Mitte der 1970er Jahre gab es noch einmal ein kurzes Aufbäumen. 1973/74 stellte Stade Reims mit dem Argentinier Carlos Bianchi den Torschützenkönig der Nationalliga (30 Treffer), 1975/76 beendete man die Saison auf einem fünften Platz und 1977 gelang der Einzug ins Pokalfinale, das jedoch mit 1:2 gegen AS St. Etienne verloren ging.
Inzwischen plagten den Klub schwere finanzielle Sorgen, die ihn 1978 zwangen, Insolvenz anzumelden. Die nicht erstligataugliche Notelf verabschiedete sich daraufhin 1979 mit nur drei Saisonsiegen zum letzten Mal aus der 1. Liga. Verlassen von Fans und Sponsoren, taumelte Stade Reims einer ungewissen Zukunft entgegen. 1986 und 1987 drangen die Rot-Weißen im Pokal jeweils bis ins Halbfinale vor, wobei am 2. Juni 1987 beim 1:5 gegen Olympique Marseille mit 27.774 Zuschauern sogar noch ein Vereinsrekord registriert wurde. Doch im Januar 1991 kam das Aus, wurde der mit über 50 Millionen Franc verschuldete Traditionsklub zunächst in die 3. Liga zwangsversetzt und im Oktober 1991 schließlich liquidiert.
Der Nachfolgeverein Stade de Reims Champagner FC hielt nicht einmal eine Saison durch, ehe auch er am 11. Mai 1992 Insolvenz anmeldete und Stade Reims endgültig Geschichte wurde. Durchschnittlich 982 Zuschauer hatten der letzten Saison des Klubs beigewohnt.
Im Juli desselben Jahres entstand mit Stade de Reims Champagne ein neuer Verein, der den Spielbetrieb in der sechsten Liga aufnahm. Nach drei Aufstiegen binnen fünf Jahren kehrten die Rêmois schließlich 1999 zur großen Freude der französischen Fußballöffentlichkeit in die 3. Liga zurück. Hinter dem Erfolg stand Brillengrossist Alain Afflelou, der zwischenzeitlich nicht nur sämtliche 1992 beim Vereins-Aus verkauften Pokale und Wimpel aus glorreichen Tagen zurückgekauft hatte, sondern den Klub finanziell auf solide Füße gestellt und ihm 1999 zudem den Traditionsnamen Stade de Reims zurückgegeben hatte.
Längst war Stade Reims zu einem landesweit beliebten Liebling aufgestiegen, und als den Rouge et Blanc 2002 der Aufstieg in die 2. Liga gelang, war die Freude in Frankreich groß. 2002/03 noch sportlich gescheitert, etablierten sich die Rêmois ab 2004 im zweiten Anlauf in der zweithöchsten Spielklasse. Parallel dazu wurde der Umbau des maroden Stade Auguste Delaune vorangetrieben, während 2007 im Ligapokal der Einzug ins Halbfinale gelang und in Reims zarte Erstligaträume erwachten.
Doch als der Stadionumbau 2009 abgeschlossen wurde, stand man in Reims abermals vor sportlichen Trümmern. Nach einer katastrophalen Hinrunde hatte der zur Winterpause verpflichtete Trainer Luis Fernandez mit seinem Team in der Rückrunde 2008/09 zwar aus 18 Spielen 27 Punkte geholt, die aber nicht mehr zum Klassenerhalt reichten. Inzwischen dürfen die seit ihrem sofortigen Wiederaufstieg vom früheren Guingamp- und Mönchengladbach-Verteidiger Hubert Fournier trainierten Rêmois erneut auf eine Etablierung im Profilager hoffen.
Klub, Fans und Region wäre es zu wünschen. Stade Reims ist ungeachtet seiner turbulenten jüngeren Vergangenheit ein stolzer Klub, dessen Aura greifbar ist und dessen Tradition ihn zu einem besonderen Verein macht. Zu einem Verein, dem auch die Erstklassigkeit gut zu Gesicht stehen würde. Zumal Reims dazu inzwischen zweifelsohne alle Voraussetzungen liefert: Das Stadion ist hübsch und wäre mit kleineren Ausbaumaßnahmen erstligatauglich, die Attraktivität des Klubs ist hoch und der Ruhm sowie Legende.
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