Sonntag, 22. Dezember 2013

Alle Tassen im Schrank? Toulouse FC

Auch wenn ich heute mal wieder in der Bundesliga unterwegs bin (BVB vs. Hertha) gehen meine Gedanken zugleich zurück an den 21. April 2009, als ich dem Toulouse FC nicht nur diese Tasse sondern vor allem eine meiner unverhofftesten und schönsten Fußballerinnerungen zu verdanken hatte. Heute nun ist so etwas wie der „Jahrestag“ dieses Ereignisses, denn die Partie, die ich damals sah, steht am Abend erstmals wieder auf dem Spielplanzettel der französischen Ligue 1: Toulouse FC gegen En Avant Guingamp.

Es war das Halbfinale im französischen Pokalwettbewerb. Guingamp, damals biederer Zweitligist, hatte im Viertelfinale in Sedan gewonnen, doch die Hoffnung auf ein Heimspiel im Halbfinale erfüllte sich nicht. Auswärts in Toulouse, das war angesichts der anderen beiden im Lostopf befindlichen Gegner (Rennes und Grenoble) so ziemlich das unüberwindlichste Los, das man bekommen konnte.

Ich hingegen war gar nicht soooo unglücklich. Denn ich befand mich zum Spieltermin ohnehin in Frankreich, und vom Luberon, wo ich an meiner Radelkondition feilte, in die Pyrenäen war es ein Katzensprung. Und weil ich als Guingampais zweifelsohne nicht unter den Verdacht falle, Erfolgsfan zu sein, machte ich mich am Morgen des 21. April natürlich auf den Weg nach La Ville Rose. Mit der Überzeugung, vermutlich einer Niederlage beizuwohnen, aber auch mit dem störrischen Glauben an die Möglichkeit einer Überraschung.

Mit mir hatten mehrere hundert Guingampais den Weg nach Toulouse gefunden, und wir trafen uns schon am Nachmittag, um gemeinsam in der Innenstadt ein wenig Präsenz zu zeigen. Dass dieser Ausflug ausgerechnet in einer bretonischen Creperie in der Altstadt endete, entsprach dann wohl sämtlichen Klischees über Bretonen im allgemeinen und Nordbretonen im speziellen, war aber zweifelsohne auch erheiternd lustig.

Dann begann das Spiel, und es begann wie im Traum. Nach 29 Minuten nutzte Guingamps brasilianischer Torjäger Eduardo eine Konterchance zum 1:0, und plötzlich roch es nach Sensation. Mit der Führung ging es in die Pause, deren Ende wir im Gästeblock fieberhaft herbeisehnten und die wir doch angesichts der allgemeinen Aufregung so sehr benötigten. Manchmal ist Fußballfan sein eben auch körperlich richtig anstrengend.

Nach Wiederanpfiff kamen die Nackenschläge. 52. Minute: Platzverweis für Soumah, Guingamp fortan in Unterzahl. 74. Minute: ein zugegeben schönes Tor von Toulouse-Torjäger Gignac. 1:1. Das war’s, war die allgemeine Auffassung, aber wir haben ein tolles Spiel abgeliefert und können stolz sein. Doch Guingamp hatte unter Trainer Viktor Zvunka ein Team, das zu fighten vermochte. Während Toulouse auf das 2:1 drängte, ergaben sich immer wieder Konterchancen. Als Eduardo in der 89. Minute am Pfosten scheiterte, machte sich im Gästeblock totale Verzweiflung breit: „so eine Chance kriegen wie nie wieder“.

Dann kam die Nachspielzeit. Freistoß für Guingamp auf der rechten Seite. Der Ball fliegt hoch hinein, Eduardo verlängert und Sène jagt das Leder ins Tor. 2:1 für Guingamp! Finale?! Nach unendlich langen 40 Sekunden kam dann der Schlusspfiff und die schwierigste Aufgabe des Tages stand an: realisieren, dass wir gewonnen hatten und im französischen Pokalfinale standen. Die Szenen, die sich im Gästeblock abspielten, sind mir unvergesslich. Wir waren ja nur ein vergleichsweise kleiner Haufen, und wir waren vor allem die „kleinen“ paysans (Bauern) aus der nordbretonischen Provinz. Und wir hatten es den „Großen“ mal wieder gezeigt. ICI C’EST GUINGAMP schallte es stolz durch le Stade, LES PAYSANS SONT DE RETOUR („die Bauern sind wieder da“). Fußballfan zu sein kann so geil sein!

Epilog: Sechs Wochen später ging es zum Finale ins Stade de France. Ich war einer von 40.000 Guingampais (ja, auch in der Provinz kommen die Erfolgsfans heraus, wenn es um was geht...). Gegner Stade Rennes kam ebenfalls aus der Bretagne, spielte in der 1. Liga und ging in der 2. Halbzeit mit 1:0 in Führung. Am Ende stand erneut ein 2:1-Sieg der „Bauern“ und einer meiner größten Momente als Fußballfan, der gekrönt wurde, als es anschließend im Europapokal ausgerechnet zum Hamburger SV ging.

Fier d’etre Guingampais! Tous ensemble, toujours En Avant!


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