Samstag, 4. Dezember 2010

Entführte Balltreter

Vor einigen Jahren hatte ich eine später leider eingestellte Kolumne in der "11 Freunde", die sich mit abseitigen Geschichten beschäftigte. Hier eine Folge davon: Entführungen von Fußballspielern.

Entführungen von Fußballer-Müttern sind in Brasilien gerade der große Hit. Die in Europa gut verdienenden Sprösslinge zahlen bereitwillig Lösegelder und inzwischen gibt es sogar Kidnapperbanden, die auf „Fußball-Mütter“ spezialisiert sind. Ansonsten waren derlei Vorfälle im Fußball-Umfeld vornehmlich Thema von Kulturschaffenden. Uwe Ochsenknechts genialer Auftritt als verzweifelter Kidnapper eines Schalke-Stars in „Fußball ist unser Leben“ dürfte allgemein bekannt sein und in dem Wust an Büchern zur WM 2006 befindet sich ein Krimi, der sich mit der Entführung der deutschen Nationalmannschaft beschäftigt.


Einigen Vertreter der tretenden Künste aber ereilte das Schicksal einer wirklichen Entführung. So Barcelonas Torjäger Quini, der sich im Frühjahr 1981 für 24 Tagen in den Händen von Entführern befand, ehe er von der Polizei befreit wurde. 18 Jahre zuvor hatte es einen ganz Berühmten erwischt: Alfrédo di Stefano. Der „blonde Pfeil“ geriet am 26. August 1963 bei einem Besuch in Venezuela in die Hände von Rebellen, die damit die weltweite Aufmerksamkeit auf ihr Land lenken wollten. Die von Maximo Canales angeführte Guerillaguppe FALN war in Polizeiuniformen geschlüpft und hatte an Zimmernummer 219 im Hotel Potoma in Caracas angeklopft, um den Fußballstar aufzufordern, mit ins Präsidium zu kommen, wo er als Zeuge benötigt werden würde. „Als wir das Hotel verließen und in einen schwarzen Wagen stiegen, spürte ich, dass etwas nicht stimmt. Es gab keine offiziellen Zeichen an dem Wagen“, erinnerte sich der in Argentinien geborene Di Stefano später. „Nach einer Weile drehte sich einer der vier Männer zu mir um und teilte mir mit, sie seien Revolutionäre. Sie hätten Waffen, doch wenn ich keinen Widerstand leisten würde, würde mir nichts geschehen. Er entschuldigte sich für die Entführung und wollte mit mir über Politik diskutieren. Ich sagte ihm, dass ich an Politik nicht interessiert sei, sondern nur an Sport. Als nächstes wurde mir eine Augenbinde angelegt, und ich begann allmählich nervös zu werden.“

Während sämtliche Polizeikräfte Venezuelas für die Suche nach dem verschwundenen Star eingesetzt wurden, begann Di Stefanos unbestimmtes Martyrium. „Ich fragte mich, was wohl passieren würde, wenn die Polizei das Versteck finden würde. Meine Kidnapper waren jung und couragiert. Sie waren bewaffnet. Sie würden sich verteidigen – und ich würde mich möglicherweise mitten im Feuer wiederfinden“. Eigentlich hatte der Real-Star jedoch gar keinen Grund zur Furcht. „Wir unterhielten uns lange und spielten Domino miteinander. Ich spielte mit dem besten Spieler unter ihnen und gemeinsam gewannen wir alle Spiele“, erinnerte er sich später lächelnd und merkte an, dass die Kidnapper sehr um sein körperliches Wohl besorgt waren. „Sie legten Wert darauf, dass ich ordentlich aß und schlief. ‚Was wird Real-Manager Muñoz sagen, wenn Du nicht schläft?’, sagte mir einer der Entführer immer wieder“.

Nach 24 Stunden endete der Alptraum. Die Rebellen hatten ihr Ziel erreicht und entließen den Real-Star nach weltweiten Presseberichten zurück in die Freiheit. Als er die spanische Botschaft betrat, wurde Di Stefano dort ungläubig empfangen. „Ich werde das niemals vergessen. Botschafter Senator Vega Guerra umarmte mich wie einen lange vermissen Bruder. Seinen Entführern war der „blonde Pfeil“ nicht sonderlich böse. „Das waren Altruisten, die hatten Ideale. Zuhause hängt ein Bild, abgezeichnet von einem der Entführer. Er schickte es mir, um mich für die Leiden zu entschädigen“.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen