Das Buch erscheint im Frühjahr 2015 und wird rund 400 Klubporträts enthalten. Erfasst sind alle Vereine, die zu DDR-Zeiten in der Oberliga bzw. Liga spielten, sowie jene Klubs, die es nach der Wende bis mindestens in die Oberliga Nordost schafften. Aus Berlin bzw. Westberlin sind bis 1990 sämtliche Teams enthalten, die in der Oberliga, Regionalliga bzw. Amateuroberliga Berlin kickten.
Wie bei den bereits erschienen Bänden Norddeutschland und Hessen gehe ich bei den Porträts durchaus ins Detail und vermute, das ist im Sinne der Leserschaft. Trotzdem hätte ich gerne zu diesem recht frühen Stadium mal ein Feedback von Euch. Nachstehend daher das Porträt über den BFC Alemannia 90. Einer von zahlreichen Traditionsvereinen aus Berlin, der über eine große Geschichte verfügt, dessen Gegenwart aber eher unspektakulär ist.
Und an Euch die Frage: wollt Ihr das in dieser Ausführlichkeit, oder ist es Euch zuviel an Information? Diskussionsbeiträge gerne entweder hier in der Kommentarspalte, auf meiner Facebookseite (www.facebook.com/hardygruene) oder per Mail an hallo (at) hardy-gruene.de.
Danke!
BFC Alemannia 90:
Pionier aus Reinickendorf
Carl Koppehel, langjähriger Archivar des DFB, sagte einst:
„Sie können vom Berliner Fußball-Club Alemannia 1890 mit Recht sagen, dass er
unter den ersten zehn deutschen Vereinen einzureihen ist, die unser heutiges
Fußballspiel betrieben“. Was Koppehel da in zeitgemäß verschnörkelte Worte
verpackte: Alemannia 90 ist einer der ältesten Fußballklubs in Deutschland und
gehört zu den einflussreichsten Förderern des Fußballsports zur
Jahrhundertwende.
Vom Ruhm vergangener Tage ist heute wenig geblieben. Nach
einem Doppelabstieg versanken die 70 Jahre lang zur Berliner Fußballelite zählenden
Blau-Gelben ab 1975 in unteren Spielklassen und begnügen sich seitdem mit einer
Rolle als Pionierverein, dessen große Zeit längst Geschichte ist.
Alemannias Historie beginnt als Cricketverein. Im Frühjahr
1890 gründeten Jugendliche aus gebildeten Kreisen den Spielverein Jugendlust,
der sich satzungsgemäß den „deutschen Ballspielen“ widmete und aus dem am 2.
November desselben Jahres der Berliner Thorball- und Fußball-Club Allemannia 90
wurde. Thorball war seinerzeit die deutsche Bezeichnung für Cricket, und das
mit den zwei „l“ in Alemannia ist kein Tippfehler, sondern die altdeutsche
Schreibweise.
In Berlin stieg Alemannia 90 rasch zu einem der
engagiertesten Protagonisten in der gerade erwachenden lokalen Fußballszene
auf. Anfänglich auf dem zentral gelegenen Exer spielend (dort steht heute das
Friedrich-Ludwig-Jahn-Stadion) animierten die Blau-Gelben andere Berliner
Sportfreunde zu Klubgründungen und halfen somit, den Ligaspielbetrieb
auszudehnen. Mit Otto Lorenz und Oskar Robel waren 1892 sogar zwei Alemannen
unter den Hertha-Gründer zu finden.
Sportlich stritt Alemannia mit eben jener Hertha sowie NNW
um die Führungsrolle im Norden Berlins, wobei man im Gegensatz zu den
VBB-Mitgliedern Hertha und NNW zunächst dem Konkurrenzverband Märkischen Fußballbund
angehörte. Erst 1907 wechselten die Blau-Gelben zum VBB und erreichten 1910
erstmals dessen Oberhaus, dem sie anschließend mit Ausnahme des Zeitraums
1913-17 für zwei Jahrzehnte angehörten. Zudem eröffnete man am 25. August 1912
an der Veltener Straße im Westen von Reinickendorf einen modernen Sportplatz in
unmittelbarerer Nachbarschaft zum Kienhorstpark.
Die 1920er Jahre wurden zur Blütezeit der Alemannia. Dafür
stehen vor allem Namen wie Fritz „Neipe“ Bache, der von Nachbar Wacker 04
gekommen war, sowie der von Hans „Hanne“ Sobek (zuvor Bavaria 09), der es
später auf dem Hertha-Platz am Gesundbrunnen zum Volksidol schaffte. 1924 lief
Sobek noch für die Alemannia auf, die sich im Endspiel um die
Stadtmeisterschaft mit 3:1 bzw. 2:2 gegen NNW durchsetzte und zum ersten Mal
Berliner Meister wurde. In der anschließenden Endrunde um die Deutsche
Meisterschaft trafen die Blau-Gelben ausgerechnet auf den 1. FC Nürnberg, der
Deutschlands Spitzenfußball seinerzeit beherrschte. Vor 10.000 Zuschauern im
Berliner Grunewaldstadion bezog Alemannia eine herbe 1:6-Niederlage, nach der
der „Fußball“ schrieb: "Alemannia fiel angesichts des Gegners völlig
auseinander und war niemals, auch nur fünf Minuten lang, die Einheit, welche
die Mannschaft unbedingt sein musste, wenn sie in Ehren bestehen wollte".
Ein Jahr später ging man im Berliner Endspiel gegen die
Hertha zwar als Verlierer vom Platz, durfte als Vizemeister aber dennoch erneut
an der Endrunde um die „Deutsche“ teilnehmen. Voller Zuversicht traf das
Sobek-Team in der ersten Runde auf den krassen Außenseiter Duisburger
Spielverein, der sich jedoch unerwartet mit 2:1 durchsetzte. Für die Alemannia
war es das letzte Mal, dass sie um die „Deutsche“ streiten konnte.
Anschließend wechselte Nationalspieler Sobek zur Hertha und
die Alemannia rutschte ins Mittelfeld des Berliner Oberhauses ab. Mit dem
Abstieg 1929 begann eine turbulente Episode, in der man wiederholt die Rückkehr
ins Oberhaus verpasste. 1933 auch offiziell vom zweiten „l“ im Klubnamen
befreit, verharrte die Alemannia anschließend bis Kriegsende in der
Zweitklassigkeit.
Nach dem Zusammenbruch trat 1945 zunächst die SG Prenzlauer
Berg-West in die blau-gelben Fußstapfen. Weil das Klubkasino an der Veltener
Straße bei einem Bombenangriff dem Erdboden gleich gemacht worden war, war der
Klub allerdings heimatlos und musste auf dem Hertha-Platz an der Plumpe
unterschlüpfen.
Sportlich glückte der Neuanfang, und die 1948 zum
Traditionsnamen BFC Alemannia 90 zurückkehrenden Reinickendorfer waren in den
1950er Jahren erneut unter den führenden Mannschaften Berlins zu finden. Die
Fans rannten den Blau-Gelben förmlich die Bude ein. 1949/50 zählte man pro
Spiel fast 13.000 Zahlende auf dem Exil Herthaplatz. Namen wie Torsteher
Lessel, Busch, Latzel, Jeske, Trapmann, Sowade, „Sohni“ Liebig, Quast sowie
Hientz zählten damals zum Besten, was Berlin zu bieten hatte. Zugleich
überzeugte Alemannia 90 durch eine bedächtige und seriöse Führungsarbeit, für
die vor allem Vorsitzender Erich Kapinsky und Mannschaftsbetreuer („Manager“)
Fred Fischer standen. Die Familie Kapinsky prägte das blau-gelbe Vereinsleben
im Übrigen in gleich drei Generationen.
1953 konnte der Klub zwar an die Veltener Straße
zurückkehren, die Ligamannschaft aber blieb zunächst auf dem Hertha-Platz. Im
weiteren Verlauf bekam Alemannia 90 dann zunehmend Mühe mit den Anforderungen
im bezahlten Fußball. Wiederholt verließen Leistungsträger den Verein, dessen
Zuschauerschnitt auf 4.000 absank und der 1955/56 aufgrund des schlechteren
Torverhältnisses erneut in die Zweitklassigkeit abstieg. Umgehend ins Oberhaus
zuückgekehrt, verharrte der Pionierklub nach dem sofortigen Wiederabstieg ab
1958 dauerhaft im Amateurfußball.
Zwischenzeitlich hatte man immerhin den bis heute größten
Erfolg der Vereinsgeschichte feiern können, als 1957 in der Deutsche
Amateurmeisterschaft der Einzug ins Finale gelungen war. Auf dem Weg dorthin
hatte die vom langjährigen BSV-92-Torjäger Hermann „Männe“ Paul betreute Elf mit
den Amateuren von Werder Bremen und Nordbadenmeister Amicitia Viernheim gleich
zwei favorisierte Teams ausgeschaltet und war am 23. Juni 1957 im
Niedersachsenstadion von Hannover auf den Düsseldorfer Stadtteilklub VfL
Benrath getroffen. Vor laufenden TV-Kameras und 80.000 Zuschauern auf den
Rängen – die Partie bildete das Vorspiel
zum „richtigen“ Finale zwischen dem BVB und dem HSV – unterlag Alemannia den
favorisierten Westdeutschen mit 2:4. Der "Kicker" lobte Alemannias
"rühmenswerten Kampfgeist" und attestierte den Berlinern
"Tapferkeit", befand aber zugleich, dass "gegen den Titelgewinn
des VfL nichts einzuwenden ist".
Nach dem erneuten Abstieg kehrte man 1958 dem
Hertha-Stadion den Rücken, weil die dortige Pacht zu hoch für das Amateurlager
war. Ein tiefer Einschnitt in die Vereinsgeschichte. 1958/59 verbrachte
Alemannia im Stadion Rehberg und 1959/60 im Stadion Wittenau, ehe ab 1960 der
vereinseigene Platz an der Veltener Straße endlich auch wieder für Ligaspiele
genutzt werden konnte. Die Blau-Gelben zahlten jedoch einen hohen Preis für
ihre Tingelei, dem das Stammpublikum nur bedingt gefolgt war. Als Alemannia
1960 sogar in der Drittklassigkeit verschwand und man zudem durch Mauerbau
mehrere Ligaspieler und zahlreiche Mitglieder an den Osten verlor, stellten
sich erste wirtschaftliche Schwierigkeiten ein.
Mitte der 1960er Jahre zeigte sich der Pionierklub
allmählich erholt. 1964/65 schaltete man im Berliner Pokal unter anderem
Regionalligist BSV 92 aus und scheiterte erst im Halbfinale am Spandauer SV.
Just im Jubiläumsjahr 1965 gelang dann auch die Rückkehr ins Berliner
Amateuroberhaus, wobei als Erfolgsbasis der Nachwuchs diente, dem unter anderem
die späteren Herthaner Thomas Zander und Horst Maaß entsprangen waren.
Zwei Jahre später konnte man an der Veltener Straße auch
den Aufstieg in die Regionalliga und damit die Rückkehr in die zweithöchste
Spielklasse feiern, wo Polizei-Sportlehrer Gerhard „Johnny“ Nitsch die
Blau-Gelben ab 1970 etablierte. Allerdings musste das Team um Kapitän Heiner
Kapinsky seine Heimspiel auf dem Füchse-Sportplatz am Freiheitsweg austragen,
da der Grantplatz an der Veltener Straße nicht regionalligatauglich war.
Im weiteren Verlauf der 1970er Jahre verloren die
Blau-Gelben ihre Führungsrolle im westlichen Reinickendorf an Altrivale Wacker
04. Während die Veilchen vom unweit gelegenen Wackerweg sogar ans Tor zur
Bundesliga klopften, verschwand Alemannia 90 nach drei Abstiegen in Folge 1976
in der B-Klasse. Nach gescheiterten Fusionsverhandlungen mit Wacker übernahm
schließlich ??? die Stadt Berlin das vereinseigene Geländes am Kienhorstpark
und leitete Anfang der 1980er Jahre die längst überfällige Renovierung des
Sportplatzes ein. Der BFC Alemannia 90 konzentrierte sich unterdessen auf die
Förderung des Nachwuchses.
Einerseits stellte sich der Verein damit zwar den
Herausforderungen der Gegenwart, verschwand andererseits aber sportlich in
unteren Spielklassen. Erst Ende der 1980er gelang immerhin die Rückkehr in die
Landesliga, in der Alemannia 90 auch 1994 noch kickte, als beim
Verbandsliganachbarn Wacker 04 die Lichter ausgingen. Nachdem die die
Mitglieder der insolventen Veilchen daraufhin dem BFC Alemannia 90 beitraten,
lief dessen Leistungsfußballmannschaft zunächst als SG Wacker/Alemannia 90 auf,
ehe sie 1998 den Kunstnamen BFC
Alemannia-Wacker erhielt, der ausschließlich für die 1. Mannschaft galt.
Gespielt wurde nunmehr im früheren Zweitligastadion am Wackerweg, das durch
Wackers langjährige finanziellen Probleme allerdings ziemlich marode war und
zunächst aufwändig restauriert werden musste.
Sportlich etablierten sich die Blau-Gelben – die Klubfarben
wurden beibehalten - unter dem Berliner Kulttrainer Klaus Basikow alsdann
erfolgreich in der Verbandsliga, wo der verblichene SC Wacker 04 zuletzt gekickt
hatte. Der anvisierte Aufstieg in die Oberliga Nordost indes misslang, und auch
das Publikum strömte nicht wie erhofft. 1997/98 zählte man durchschnittlich
ganze 61 Zahlende am Wackerweg. Nach 16 Verbandsligajahren ging es 2008
schließlich hinab in die Landesliga, wo man zur Saison 2013/14 das
Namensanhängsel „Wacker“ ablegte und zum Traditionsnamen BFC Alemannia 90
zurückkehrte. Gespielt wird allerdings weiterhin am Wackerweg.
BFC Alemannia
90 – Stadion am Wackerweg – www.bfc-alemanna90.de
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